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Freitag, 25. April 2008
RheinEnergieMarathon in Bonn
bemir, 00:09h
Ich habe gesucht und gesucht und gesucht. Ich habe probiert und in mich hinein gehorcht aber nichts gehört. Ich habe gedreht und gewendet aber keinen neuen Blickwinkel erreicht. Als mir gar nichts mehr einfallen wollte, habe ich einfach nur gezählt. Meine Schritte. Ich habe die bereits gelaufenen Kilometer als Zahl genommen und mir als Schlagzahl für den Intervall zwischen Laufen und Gehen gesetzt: "38 Kilometer habe ich bereits, also 38 Schritte Gehen dürfen, dann 38 Schritte Laufen müssen, am Besten gleich mit Faktor 2 oder 3 multiplizieren und dann wieder 38 Schritte zur Erholung gehen dürfen... ach halt: ich bin ja inzwischen bei km39. Also 39 Schritte gehen dürfen..."
Mit der Reduktion auf Zahlen und einzelne Schritte ging es dann irgendwie. Tatsächlich habe ich jeden Meter verflucht, der zwischen km36 und dem Ziel bei km42.125 gelegen hat. Ab km39 war es mir physisch und psychisch nahezu unerträglich, und ich wollte schlichtweg nicht mehr. Kein bisschenkeingarnichtmehrnullkommagarnichtsmehrnullingernull mehr wollte ich noch. In dieser Leere des "nicht mehr Wollens" fiel dann tatsächlich ein "vergessen", so das ich nicht mehr sagen kann, wie der letzte Kilometer dann doch noch funktioniert hat. Irgendwie muss ich ihn gelaufen sein, aber im Vergleich zu dem Kilometern zwischen km36 und km41 löste sich der letzte dann in der Erinnerung in Luft auf. Zwar kann ich mich genau an die Örtlichkeiten und das Aussehen des Letzten erinnern, aber nicht, wie ich ihn hinter mich gebracht hab. Gezählt habe ich jedenfalls nicht mehr, dessen bin ich mir sicher.
Streckenverlauf durch die Innenstadt von Bonn
nach dem Ötzi 2007 ...
entstand bei mir ein Motivationsloch größeren Ausmaßes. Es stand kein neuer Ötzi in Aussicht, Markus und Holger hatten auch keine klaren Ziele, also trieb ich so dahin. Mit dem Rad zur Arbeit und manchmal ne Runde gelaufen, das wars. So halt. Ohne Ziel.
Auch die diversen Versuche, Markus und Holger auf eine Sportidee für 2008 "anzufixxen" und damit endlich wieder auf ein Ziel hin zu trainieren funktionierte nicht. Es ergab sich nicht.
Also reduzierte ich meine Suche auf mich selbst und kam zurück zu den Wurzeln meiner sportlichen Wiedergeburt nach dem gesundheitlichen Raubbau des Rauchens vor 9 Jahren: dem Laufen. Meinen letzten Marathon bin ich vor 3 Jahren in der Nähe von Nürnberg gelaufen. Knapp unter 4 Stunden, mit 10,5km/h im Schnitt. Dann kamen verstärkt die Radmarathons und das Laufen verschwand etwas aus dem Blickwinkel. Die Zeit war nun also reif, an die Laufmarathons wieder anzuschließen.
Über das Internet suchte ich mir einen Lauf der recht früh im Jahr angesetzt war und kam auf den Düsseldorfer Marathon, den ich 2003 schon einmal gelaufen war. So konnte ich den Lauf mit einem Besuch bei Holger und Ki verbinden. Aus welchem Grund sollte man auch sonst da hoch fahren, zieht es mich (und Holger) für den Sport doch sonst in die andere Richtung, in die Berge...
Irgendwann vor dem Jahreswechsel meldete ich mich spät nachts nach 2 oder 3 Bier online in Bonn an, nachdem Holger mir von Düsseldorf abgeraten hatte ("Düsseldorf.... neeeee") und Bonn viel näher von ihrem Haus aus zu erreichen sei. Also gut, dann eben Bonn. Eh wurscht.
Da man einen Marathon nicht "einfach so" läuft - jedenfalls ich nicht - nahm ich mir ein Trainingspensum von mind. 100 Trainingskilometern im Monat vor, was ich neben dem Radln auch tatsächlich umsetzen konnte.
Im Vergleich zu früher jedoch haben mir die Trainingsrunden nicht mehr so den Spaß gemacht. Das berühmte "runners-high", bei dem man und frau beim Laufen vor lauter Glück und Euphorie regelrecht über den Asphalt schwebt und die Kilometer nur so zerschmelzen, das kenne ich zwar noch, hat sich aber in der Vorbereitung nie eingestellt. Im Gegenteil. Das "runners-high" hatte ich am Morgen des nächsten Tages: als ich wieder im Sattel meines Rades auf dem Weg zur Arbeit gewesen bin.
zwei Wochen vor dem Marathon
wollte ich durch einen Sololauf durch den Wald mit 34km eine Runde hinlegen, die meinen Zweifeln und meiner Psyche beweisen sollte, problemlos auch die magischen 30km zu durchbrechen. Leider endete diese Runde aber im völlige "Fiasko": nach 24km musste ich aus dem laufen heraus und konnte nur noch gehen. Es kam mit der Sonne die Wärme, ich war zu dick angezogen und hatte nur 0,2l Wasser dabei und quälte mich "ellenlange" 7km wieder nach hause. Frustriert, fertig und 2 Wochen vor dem Marathon mit einem verdammt schlechten Gefühl. Meine Analyse ergab: zu schnell los gelaufen, zu warm angezogen, zu wenig zu trinken und zu wenige Trainingskilometer.
3 Tage später lief ich meine Haustrainingsrunde von 11,8km in 56min, das entspricht einem Tempo von 12,3km/h. Zudem hatte ich mich erst bei genau der Hälfte der Runde zum Rekordversuch entschlossen und war hinterher um so mehr von meinem Leistungsvermögen wieder überzeugt. Zwar hatte ich auch hier keinen "runners-high", aber es fühlte sich gut an, so schnell so ausdauernd zu Laufen. Es machte Spass, der üblichen Runde an jeder Ecke ein paar Sekunden abzunehmen und zum Schluss noch guter Dinge zu sein. Sportliche Höchstleistung kann schon gut stimulieren und gewaltig motivieren.
der Start in Bonn
war um 10:30 Uhr. Holger und Ki waren zuvor um 8:30 Uhr den Halbmarathon mit 6000 anderen Teilnehmern gelaufen, nun stand ich mit 1500 anderen am Start.
Das Wetter versprach Sonne bei bis 20°C, aber seit dem frühen Morgen hatte es nicht aufgerissen, es ging ein lausig kalter Wind und alles fror und schnatterte um mich herum, wartete auf wärmende Sonnenstrahlen, die nicht kamen. Da man beim Marathon kleidungstechnisch recht festgelegt ist, standen eben alle mit "etwas zu wenig" am Start.
10:15 Uhr konnte man endlich in den Startbereich und der Sprecher versuchte die Meute anzufeuern und zu motivieren, was nicht recht gelang. Aus Nervosität bewegte ich mich auch etwas hin und her - soweit möglich in dem abgesperrten Startareal der Straße - vermied aber, mich zu sehr zu bewegen. Da wäre mir zwar wärmer geworden, aber ich halte das für Unsinn am Beginn von 42 Laufkilometern: später ist man auf jedem Zentimeter Strasse froh an der Energie, die der Körper noch zu bieten hat. "Aufwärmen" kann man sich auf den ersten Metern und Kilometern des Laufes.
Die letzten 10 Sekunden zählten dann alle um mich herum lautstark herunter, dann knallte der Startschuss durch die Menge, Pulsmesser piepsen, Läufer werfen ihre Pullover den Zuschauern zu und wollen loslegen... und es passiert: NICHTS. - Keiner geht, keiner kann nur einen Zentimeter vorwärts. Minutenlang. "Hach, wie ich das hasse...". Erst später kann ich realisieren, das hier in Bonn in "Intervallen" gestartet wird. Die erste Gruppe, der erste Startblock läuft los, dann eine Minute Pause, dann der Nächste, und so weiter... und so weiter...
Mit 5 Minuten Verspätung gehts dann aber endlich auch mal los für mich... ENDLICH ! - Los etz !
Nach dem ersten Kilometer
geht es gleich auf der Kennedybrücke über den Rhein. Hier stehen noch viele Zuschauer und applaudieren uns Läufern kräftig zu. So langsam kommt der Körper auf Betriebstemperatur, die Laufschritte werden regelmäßiger und die Unruhe des Startens zerrinnt langsam unter den Füßen.
Ich habe oft versucht, mir die richtige Strategie für diesen Lauf zu überlegen. Sicherlich nicht zu schnell laufen am Anfang, gerade da nicht. Auch wenn die Motivation und die Aufregung noch am Größten sind. Am Anfang eher bremsen, um in den richtigen Rhythmus zu gelangen, der auch 42km trägt.
Auf der anderen Seite ist es mir nicht möglich, während dem Lauf noch einmal die Geschwindigkeit noch oben zu korrigieren. Laufe ich also zu langsam los und merke nach etwa der Hälfte der Strecke "es wäre noch mehr drin", dann führt die Beschleunigung zu einem veränderten Atmungsrhythmus, der wiederum das eingespielte Gleichgewicht aus Atmung, Herzfrequenz und Schrittfrequenz völlig durcheinander bringt und bei mir in der Regel mit "gehen müssen" endet. Also sind all die leichten und dahinfliegenden Schritte am Anfang des Rennens ein Tanz um die "richtigen" Pegelwerte, ein Balanceakt zwischen "zu langsam" und "zu schnell".
Nach km3 bis km4 pendelt sich mein Tempo ein: ich laufe mit exakt 12km/h die Stunde, mein Puls zeigt 155 bis 160 Schläge pro Minute. Nicht zu langsam, hoffentlich nicht zu schnell. Derzeit ideal, ich fühle mich pudelwohl. So kanns bleiben. Ab jetzt einfach Autopilot einschalten, nichts mehr denken und nur noch Laufen. (Auf der Strecke ist jeder Kilometer durch einen Tafel markiert. Wenn man sich die Zeit zwischen den Markierungen stoppt, lässt sich die Geschwindigkeit ermitteln. Bei genau 5:00 min pro Kilometer ergibt sich eine Geschwindigkeit von exakt 12,00km/h).
Bei km4, unmittelbar vor der ersten Wende, ist die erste Versorgung aufgebaut. Auf vielen Biertischen ("hihi") ist zuerst Platz für die Spezialisten, die ihre eigene Versorgung zum Rennen mitgebracht haben und dort deponieren können. Dann kommen die Tische mit dem Wasser, den Isogetränken, dann Cola und zum Schluss Bananen. Alle Getränke werden in Plastikbechern gereicht: Helfer halten einem das Getränk entgegen, und man kann gut per Kopfnicken gestikulieren, ob man das möchte oder nicht.
Für die erste Verpflegung habe ich mir vorgenommen,nichts aufzunehmen. Ich möchte durchlaufen und mir meinen idealen Rhythmus, den ich inzwischen gefunden habe, nicht vermurksen lassen. Außerdem habe ich nach 4km noch keinen Durst und bin noch gut drauf. Also weiche ich auf die andere Straßenseite aus um dem Rummel zu entgehen und lauf einfach durch. "Doch, doch. Ich fühl mich großartig !".
ein Novum
bei diesem Marathon war die Schülerstaffel. Hierbei waren etliche Schüler unterschiedlichsten Alters auf der Strecke unterwegs. Sie liefen einige Kilometer - je nach Alter und Leistung - und wurden dann ausgewechselt. Das Ganze war auch perfekt organisiert, einige hundert Meter vor der Wechselstation standen Helfer und gaben per Funk an die Wechselstation weiter, welcher Schüler bzw. welche Schülerin als nächstes in wenigen Sekunden eintreffen würde.
Alle Schüler hatten ein farbiges Band am Körper und waren so gut zu erkennen.
Mir ging es mit den Schülern ganz unterschiedlich: einerseits wollte ich gerade am Anfang den ein oder anderen gerne motivieren und auf die Schulter klopfen oder was zu trinken reichen oder wie auch immer helfen. Schließlich find ich es genial, wenn Kinder und Jugendliche diesen Alters sich für den Sport interessieren. Nicht wenige von ihnen gingen schon vor Ende des zweiten Kilometers, mit den Händen in die Hüften gestemmt und mit hochrotem Kopf. "Naja", denke ich mir "so würde mir Sport dann auch keinen Spaß machen...".
An den Engstellen des Streckenverlaufes fand ich es gleichzeitig auch oft sehr hinderlich. Plötzlich stackste einem ein "Knopf" vor den Füßen herum, wendete plötzlich nach links oder rechts, bleibt unvermittelt stehen und ringt mir den ein oder anderen stillen Fluch ab.
"Hähähähäää" denke ich mir manchmal am Anfang des Laufes, "hat man jemanden zum überholen." - was sich aber gegen Ende des Rennens völlig verkehrte: dann war ich das "Überholfutter" für die Schüler, die frisch ausgeruht in ihrer Staffel irgendwo aus der Ecke sprangen und fluggs an den alten Säcken vorüber preschten, die mit ihrem eigenen Leiden all zu sehr beschäftigt waren... "herrje", "fuck,fuck,fuck. Selbst von Kindern wirst Du hier noch fertig gemacht, unglaublich. Alter Mann, geh heim." dachte ich mir dann.
die erste Runde
endete ziemlich genau wieder in Höhe des Rathausplatzes nach 21km. Auf dem Weg durch die Fußgängerzone waren die Läufer durch Metallgitter von den Zuschauern geschützt - oder umgekehrt - und man lief wie Vieh beim Almabtrieb durch die Meute. Ich suchte mit den Augen schon einige Zeit vorher immer wieder den Rand nach der Tafel mit der "21"ab, aber sie wollte und wollte nicht kommen. Das war so der erste Moment, bei dem ich mich nicht mehr recht wohl in meiner 12km/h-Haut fühlte. Zwar war mein Puls beständig bei 160 geblieben - ein sehr guter und verlässlicher Wert für mich - aber ich merkte an Details, das ich nicht mit 42km zurecht kommen werden würde: ich spürte es und wollte und konnte den Gedanken daran nicht zulassen. Während ich durch die Metallbahn spurtete, spürte ich, wie zunächst meine Schritte immer etwas unsicherer wurden. Nur in minimalen Kleinigkeiten, in Details, aber spürbar. Die Hüfte spannte sich zunehmend an. Zwar war das noch kein Seitenstechen, aber die Vorstufe dazu. Ich versuchte durch besonders intensives und langes Atmen hier wieder Entspannung herbeizuführen, aber das gelang nur teilweise. Erstens war der Gedanke nicht zu verjagen, es "so" nicht in diesem Tempo zu Ende bringen zu können und zweitens wusste oder dachte ich mir, dass sich kein Teil meines Körpers WÄHREND dem Lauf und nach bereits erbrachten 21km würde ENTSPANNEN können.
Ich lief weiter, konsultierte dauernd meine Uhr mit Zeit pro Kilometer und Pulskontrolle und versuchte mir intensiv einzureden: "hey, die erste Runde ist geschafft. KLASSE. Immerhin. Schon die Hälfte durch. NUR noch EINE weitere Runde..."
der Mann mit dem Hammer
kam auch dieses mal wieder zu mir: damit ist gemeint, das man meist ab km30 einen Einbruch erlebt. Als würde einem jemand mit nem Hammer die Beine wegziehen. Die streiken einfach nur noch und wollen nicht mehr. Schlag-artig, im wahrsten Sinne des Wortes.
Nach dem Durchlauf der ersten Runde mit km21 in einer Zeit von 1:46h war ich mit dem Wert und meiner Leistung total zufrieden. Es ging wieder hinaus auf die Kennedybrücke über den Rhein. Alle Detailsignale in mir versammelten sich und präsentierten mir die Quittung für den bisherigen Lauf:"so gehts nicht weiter, so nicht auf 42km". Ich wollte das nicht wahr haben, ich wollte das um keinen Preis akzeptieren. GENAU DAS nicht. GENAU DAS ist der Generalfehler beim Marathon, der mir all zu oft passiert. Daher durfte es diesmal nicht wieder passieren. DIESMAL NICHT. Also: "klar sind die Beine schon etwas schwer, was sollen sie sonst sein, nach 23km ?" - die Sonne kommt mehr und mehr heraus, sofort nimmt die Temperatur zu. Die Zuschauermenge in der zweiten Runde hat spürbar abgenommen, es ist nur an einzelnen Stellen "etwas los".
Auf den ersten Kilometern hatte ich mit vorgenommen, meine Musik (MP3-Player) erst ab km16 einzuschalten, was ich dann generalstabsmäßig auch getan habe. Mit der Gruppe "BAP" versuche ich mich abzulenken, die Kilometer und die zerrinnende Zeit zu vergessen. Das klingt im Ansatz, aber nicht in der Tiefe. Die Spannung in der Hüfte nimmt wieder zu, verstärkt sich nach den hineingehasteten Schlücken Flüssigkeit während dem Lauf. Inzwischen bin ich hier bei Cola angekommen, dem persönlichen Wundermittel bei solchen Veranstaltungen. Wegen des hohen Zuckergehalts gibt es schnell Energie, die jedoch wegen der Eigenschaften dieses Zuckers auch genau so schnell wieder versiegt. "wenn Du mit Cola anfängst, dann geht nichts anderes mehr." Diesem Grundsatz kann ich nur zustimmen. Dennoch gibt weder die Cola noch BAP die Energie zurück.
Es wird quälend offensichtlich, mit jedem Schritt in diesem Lauf: ich werde es nicht schaffen, die 42km durchzulaufen. Ich werde es auch nicht schaffen, den geheimen Wunsch zu realisieren und meine Bestzeit von 3:31h bei einem Marathon anzugreifen oder auch nur in die Nähe zu kommen.
Beim Laufmarathon gibt es im Vergleich zum Radmarathon "keine" Abwechslung. Es ist immer der gleiche Bewegungsablauf, (hoffentlich) immer der gleiche Rhythmus der Beine, der Lunge und des Herzens. Es bleibt immer alles gleich, bis die Distanz überwunden ist. Dann endlich darf man sich hinsetzen und nichts mehr tun. Aber erst dann. Beim Rad ist das anders: durch die Landschaft ändert sich permanent die Anforderung: bergauf, eben , bergab. Der ganze Körper und die Psyche bekommen viele Reize, viel Abwechslung. Die Monotonie der Ausdauer wird überspielt, überstrahlt. Nicht so beim Laufen: "es bleibt alles anders", immer das Gleiche.
Bei km26 kapituliere ich innerlich eigentlich bereits. Es sind noch unsagbare 16km bis zum Ziel, bis zum "endlich aufhören dürfen", doch so wie bisher gehts nun nicht mehr weiter. Ich werde langsamer, ich werde bewußt langsamer, um nicht stehen bleiben zu müssen. Erst wird die Schrittlänge kürzer, dann die Schrittfrequenz niedriger. Immer mehr Läufer ziehen an mir vorbei, ich bin raus aus dem Feld. "Wenn Du langsamer wirst, dann brichst Du ein, dann ist es aus. Durchlaufen, immer im gleichen Tempo. Nicht anhalten, nur nicht stehen bleiben." Das war meine Devise. Nun kapituliere ich auf 4-5km. Das Rheinufer entlang, auf einer Geraden von fast 10km Länge. Das langsamer werden bringt keine Erleichterung, was mein Kopf vorher schon gewußt hat. Die Beine und alles war an die Frequenz von 12km/h bei 160 Puls gewöhnt, eingeschossen, eingelaufen. Jetzt etwas zu ändern, egal ob schneller oder langsamer, zerstört das System und die Bereitschaft, den Lauf zu meistern. Es ist ein quälendes Sterben der Motivation, ein Siechtum des Willens. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Immer länger werden die Kilometer, immer schneller die anderen.
Mit dem Gedanken an den letzten Ötzi und die Bewältigung des Timmelsjoch versuche ich verbissen mir einzureden, "ja bloß weiterzulaufen." Es sind so Gedanken wie "alles ist besser als stehen bleiben" und "der angenehmste Zustand ist das Laufen, nicht die Pause". Aber das hilft alles nichts. Ich ringe die Kilometer nieder, bis sie mich geschafft haben. Besiegt, aus und vorbei. Ich bleibe stehen. Zuerst gehe ich noch, dann bleibe ich wirklich stehen. Kilometer: 35,5. Zweispurige Hauptstraße, fast keine Zuschauer, pralle Sonne inzwischen und noch etwa 1km bis zur Versorgung. Da standen wir dann: ich und der Mann mit dem Hammer. Aus. Vorbei. An der Grenze angekommen. Hier ist sie. Genau hier. "FUCK FUCK FUCK !!!" - klingt nicht gut und nicht nett. Ist aber so. "Scheißdreck aber auch."
die kleinere Qual
ist es dann doch, den Lauf wieder aufzunehmen, nach einigen Schritten, die ich gegangen bin. "Vielleicht komme ich ja doch wieder rein..." (HAHAHAHAAAA !). Ich laufe einige hundert Meter, dann gehe ich wieder viele Schritte. In der Ferne der Versorgungsstand bei km36. Bis dahin laufe ich wieder. Dort bleibe ich stehen bzw. gehe wieder und versorge mich mit Cola und Bananen.
Bei km36 kommt die letzte Wende. Noch einmal macht die Strecke einen Bogen von 180°, ab hier geht es wieder zurück zum Start und zum Ziel. Noch ganze 6 Kilometer. 6.000 Meter. Etwa 8.000 Schritte...
Als ich vor dem Start über der Karte gebeugt dagesessen hatte und mir alles so ansah, da wollte ich ab diesem Punkt "Kilometer 36" noch mal alle Kräfte bündeln und "speed" machen, Gas geben und die letzten Kilometer "einfach so" runterspulen. Das geht tatsächlich, das habe ich schon erlebt. Allerdings nur, wenn noch "alles so im Lot ist", der Laufkörper noch zufriedenstellend arbeitet und vor allem der Geist und das Hirn mit dem bisherigen Lauf zufrieden ist und sich selbst damit motivieren kann, das alles klasse läuft bis hier hin. Dem ist aber heute nicht so. Ich stolper so dahin, mehr gehe ich als das ich laufe, ich fluche und schimpfe und hasse die Distanz bis zum Ziel. Jeder Meter kostet Überwindung. Egal jetzt, weiter.
Meine Beine protestieren mehr und mehr. Jedes Gehen und wieder anlaufen wird zur regelrechten Qual. "Die Beine wollen wirklich nimmer, scheiße" denke ich mir. Öfter bleibe ich nun komplett stehen und dehne die Beine kurz indem ich mich gegen Straßenlaternen stemme, gegen Leitplanken. Neben den anderen Verzweifelten. Wie beim Ötzi am Timmelsjoch nehmen auch hier zwischen km39 und km40 die "Geher und Steher" zu. Diesmal bin ich leider auch einer von ihnen. "Verdammt". Ein Blick zur Uhr: 3Stunden, 40 Minuten seit dem Start. Eigentlich wollte ich seit 10 Minuten im Ziel sein. Doch noch stackse ich hier im Dreck rum. Unendlich langsam. Also wieder Indianermethode: 10 Schritte laufen, 10 Schritte gehen. Zu anstrengend. Bisher gelaufene Kilometer übersetze ich in Schritte des Laufens, dazwischen 10 schritte gehen dürfen. "39 Schritte laufen", "10 Schritte gehen". "39 Schritte Laufen... besser die Laufschritte mal zwei: 78 Schritte laufen, 10 Schritte gehen..."
Irgendwann komme ich wieder an die Metallabsperrungen in der Innenstadt, der Fußgängerzone. Ab hier ist es nicht mehr weit, 1.5 Kilometer höchstens. Also nehm ich noch einmal alles zusammen: wenigstens unter 4 Stunden will ich bleiben, wenigstens das. Die Beine tun weh, brüllen mich an: "bleib endlich stehen, setz Dich, JETZT !" - nix da. Es reicht mir mit dem Laufen, es reicht mir aber auch mit dem Stehenbleiben. Schluss jetzt endlich. Die Abzweigung von der ersten Runde weg zum Rathausplatz. Es sind nur noch wenige hundert Meter zum Ziel. Die Menschen stehen Spalier, der "Metalltunnel" liegt im Schatten, die Hüfte sticht und alles passt nicht mehr zu der Bewegung. Ich laufe immer schneller, ich explodiere fast.
Schluss-Spurt
"Leck mich, leck mich" bei jedem Schritt, bei jedem Bodenkontakt der Fußsohlen. Alles in mir, mein ganzer Körper trompetet: HALT ENDLICH AN ! - nix da. Im Gegenteil: Ich werde immer schneller. Ich überhole noch 4 bis 5 Mitläufer, dann noch einmal 2 vor der Ziellinie. Roter Gummibelag wenige Meter vor dem Ziel. Ich bin irritiert. Der riesige Zielbogen mit der Uhrzeit noch vor mir. Genau 4:00:00 steht da, ich bin verwirrt. Die Beine kommen fast zu stehen, ich schlepp mich einfach weiter und dann bin ich durch, im Ziel.
im Ziel, 42km, in 3:55h (bereinigt), Platz 805 von 1459 Läufern
Keine Luft mehr.
Kein Atem mehr.
Kein Schritt mehr.
Gleich platz ich.
Der Spurt hat alles gekostet, jetzt geht rein gar nichts mehr.
Ich lehne mich über das seitliche Metallgitter, der Schweiß läuft mir überall hinunter, ins Gesicht, in die Augen. "Luft", "ich brauch Luft...". Einige Momente des "Nichts" vergehen, ich steh nur da und staune. Ringe nach Luft. Nach Fassung. Dann wanke ich auf eine der Helferinnen zu, die auch nicht recht weiß, ob sie es denn nun sein muss, die mir die Finishermedallie umhängt oder doch eine ihrer hübschen Kolleginen. Schließlich baumelt das Ding um meinen Hals, ich torkel weiter und entdecke auch schon Holger und Ki, die mich dankenswerter Weise im Zielraum empfangen. Da sie als Halbmarathonis ebenfalls gelaufen sind, passieren sie die Ordner ungehindert, die hier niemand außer den Läufern durchlassen.
Ki reicht mir Wasser, Holger organisiert ein isotonisches, alkoholfreies Erdinger Weißbier: GENIAL.
Ich setz mich zu Boden, lehne an einen Blumenkübel und will vor allem eins: nicht mehr weiterlaufen.
"Nie mehr wieder mach ich so einen Scheiß" denke ich, als ich wieder denken kann. "Nie mehr wieder." "Nie mehr". "Nie."
Außer im Oktober den Münchner Stadtmarathon. 42km, Zieleinlauf im altehrwürdigen Olympiastadion. "Spätestens nächstes Wochenende wieder trainieren gehn. Unter 3:30h". Vielleicht schaffe ich es im Oktober...
Mit der Reduktion auf Zahlen und einzelne Schritte ging es dann irgendwie. Tatsächlich habe ich jeden Meter verflucht, der zwischen km36 und dem Ziel bei km42.125 gelegen hat. Ab km39 war es mir physisch und psychisch nahezu unerträglich, und ich wollte schlichtweg nicht mehr. Kein bisschenkeingarnichtmehrnullkommagarnichtsmehrnullingernull mehr wollte ich noch. In dieser Leere des "nicht mehr Wollens" fiel dann tatsächlich ein "vergessen", so das ich nicht mehr sagen kann, wie der letzte Kilometer dann doch noch funktioniert hat. Irgendwie muss ich ihn gelaufen sein, aber im Vergleich zu dem Kilometern zwischen km36 und km41 löste sich der letzte dann in der Erinnerung in Luft auf. Zwar kann ich mich genau an die Örtlichkeiten und das Aussehen des Letzten erinnern, aber nicht, wie ich ihn hinter mich gebracht hab. Gezählt habe ich jedenfalls nicht mehr, dessen bin ich mir sicher.
Streckenverlauf durch die Innenstadt von Bonn
nach dem Ötzi 2007 ...
entstand bei mir ein Motivationsloch größeren Ausmaßes. Es stand kein neuer Ötzi in Aussicht, Markus und Holger hatten auch keine klaren Ziele, also trieb ich so dahin. Mit dem Rad zur Arbeit und manchmal ne Runde gelaufen, das wars. So halt. Ohne Ziel.
Auch die diversen Versuche, Markus und Holger auf eine Sportidee für 2008 "anzufixxen" und damit endlich wieder auf ein Ziel hin zu trainieren funktionierte nicht. Es ergab sich nicht.
Also reduzierte ich meine Suche auf mich selbst und kam zurück zu den Wurzeln meiner sportlichen Wiedergeburt nach dem gesundheitlichen Raubbau des Rauchens vor 9 Jahren: dem Laufen. Meinen letzten Marathon bin ich vor 3 Jahren in der Nähe von Nürnberg gelaufen. Knapp unter 4 Stunden, mit 10,5km/h im Schnitt. Dann kamen verstärkt die Radmarathons und das Laufen verschwand etwas aus dem Blickwinkel. Die Zeit war nun also reif, an die Laufmarathons wieder anzuschließen.
Über das Internet suchte ich mir einen Lauf der recht früh im Jahr angesetzt war und kam auf den Düsseldorfer Marathon, den ich 2003 schon einmal gelaufen war. So konnte ich den Lauf mit einem Besuch bei Holger und Ki verbinden. Aus welchem Grund sollte man auch sonst da hoch fahren, zieht es mich (und Holger) für den Sport doch sonst in die andere Richtung, in die Berge...
Irgendwann vor dem Jahreswechsel meldete ich mich spät nachts nach 2 oder 3 Bier online in Bonn an, nachdem Holger mir von Düsseldorf abgeraten hatte ("Düsseldorf.... neeeee") und Bonn viel näher von ihrem Haus aus zu erreichen sei. Also gut, dann eben Bonn. Eh wurscht.
Da man einen Marathon nicht "einfach so" läuft - jedenfalls ich nicht - nahm ich mir ein Trainingspensum von mind. 100 Trainingskilometern im Monat vor, was ich neben dem Radln auch tatsächlich umsetzen konnte.
Im Vergleich zu früher jedoch haben mir die Trainingsrunden nicht mehr so den Spaß gemacht. Das berühmte "runners-high", bei dem man und frau beim Laufen vor lauter Glück und Euphorie regelrecht über den Asphalt schwebt und die Kilometer nur so zerschmelzen, das kenne ich zwar noch, hat sich aber in der Vorbereitung nie eingestellt. Im Gegenteil. Das "runners-high" hatte ich am Morgen des nächsten Tages: als ich wieder im Sattel meines Rades auf dem Weg zur Arbeit gewesen bin.
zwei Wochen vor dem Marathon
wollte ich durch einen Sololauf durch den Wald mit 34km eine Runde hinlegen, die meinen Zweifeln und meiner Psyche beweisen sollte, problemlos auch die magischen 30km zu durchbrechen. Leider endete diese Runde aber im völlige "Fiasko": nach 24km musste ich aus dem laufen heraus und konnte nur noch gehen. Es kam mit der Sonne die Wärme, ich war zu dick angezogen und hatte nur 0,2l Wasser dabei und quälte mich "ellenlange" 7km wieder nach hause. Frustriert, fertig und 2 Wochen vor dem Marathon mit einem verdammt schlechten Gefühl. Meine Analyse ergab: zu schnell los gelaufen, zu warm angezogen, zu wenig zu trinken und zu wenige Trainingskilometer.
3 Tage später lief ich meine Haustrainingsrunde von 11,8km in 56min, das entspricht einem Tempo von 12,3km/h. Zudem hatte ich mich erst bei genau der Hälfte der Runde zum Rekordversuch entschlossen und war hinterher um so mehr von meinem Leistungsvermögen wieder überzeugt. Zwar hatte ich auch hier keinen "runners-high", aber es fühlte sich gut an, so schnell so ausdauernd zu Laufen. Es machte Spass, der üblichen Runde an jeder Ecke ein paar Sekunden abzunehmen und zum Schluss noch guter Dinge zu sein. Sportliche Höchstleistung kann schon gut stimulieren und gewaltig motivieren.
der Start in Bonn
war um 10:30 Uhr. Holger und Ki waren zuvor um 8:30 Uhr den Halbmarathon mit 6000 anderen Teilnehmern gelaufen, nun stand ich mit 1500 anderen am Start.
Das Wetter versprach Sonne bei bis 20°C, aber seit dem frühen Morgen hatte es nicht aufgerissen, es ging ein lausig kalter Wind und alles fror und schnatterte um mich herum, wartete auf wärmende Sonnenstrahlen, die nicht kamen. Da man beim Marathon kleidungstechnisch recht festgelegt ist, standen eben alle mit "etwas zu wenig" am Start.
10:15 Uhr konnte man endlich in den Startbereich und der Sprecher versuchte die Meute anzufeuern und zu motivieren, was nicht recht gelang. Aus Nervosität bewegte ich mich auch etwas hin und her - soweit möglich in dem abgesperrten Startareal der Straße - vermied aber, mich zu sehr zu bewegen. Da wäre mir zwar wärmer geworden, aber ich halte das für Unsinn am Beginn von 42 Laufkilometern: später ist man auf jedem Zentimeter Strasse froh an der Energie, die der Körper noch zu bieten hat. "Aufwärmen" kann man sich auf den ersten Metern und Kilometern des Laufes.
Die letzten 10 Sekunden zählten dann alle um mich herum lautstark herunter, dann knallte der Startschuss durch die Menge, Pulsmesser piepsen, Läufer werfen ihre Pullover den Zuschauern zu und wollen loslegen... und es passiert: NICHTS. - Keiner geht, keiner kann nur einen Zentimeter vorwärts. Minutenlang. "Hach, wie ich das hasse...". Erst später kann ich realisieren, das hier in Bonn in "Intervallen" gestartet wird. Die erste Gruppe, der erste Startblock läuft los, dann eine Minute Pause, dann der Nächste, und so weiter... und so weiter...
Mit 5 Minuten Verspätung gehts dann aber endlich auch mal los für mich... ENDLICH ! - Los etz !
Nach dem ersten Kilometer
geht es gleich auf der Kennedybrücke über den Rhein. Hier stehen noch viele Zuschauer und applaudieren uns Läufern kräftig zu. So langsam kommt der Körper auf Betriebstemperatur, die Laufschritte werden regelmäßiger und die Unruhe des Startens zerrinnt langsam unter den Füßen.
Ich habe oft versucht, mir die richtige Strategie für diesen Lauf zu überlegen. Sicherlich nicht zu schnell laufen am Anfang, gerade da nicht. Auch wenn die Motivation und die Aufregung noch am Größten sind. Am Anfang eher bremsen, um in den richtigen Rhythmus zu gelangen, der auch 42km trägt.
Auf der anderen Seite ist es mir nicht möglich, während dem Lauf noch einmal die Geschwindigkeit noch oben zu korrigieren. Laufe ich also zu langsam los und merke nach etwa der Hälfte der Strecke "es wäre noch mehr drin", dann führt die Beschleunigung zu einem veränderten Atmungsrhythmus, der wiederum das eingespielte Gleichgewicht aus Atmung, Herzfrequenz und Schrittfrequenz völlig durcheinander bringt und bei mir in der Regel mit "gehen müssen" endet. Also sind all die leichten und dahinfliegenden Schritte am Anfang des Rennens ein Tanz um die "richtigen" Pegelwerte, ein Balanceakt zwischen "zu langsam" und "zu schnell".
Nach km3 bis km4 pendelt sich mein Tempo ein: ich laufe mit exakt 12km/h die Stunde, mein Puls zeigt 155 bis 160 Schläge pro Minute. Nicht zu langsam, hoffentlich nicht zu schnell. Derzeit ideal, ich fühle mich pudelwohl. So kanns bleiben. Ab jetzt einfach Autopilot einschalten, nichts mehr denken und nur noch Laufen. (Auf der Strecke ist jeder Kilometer durch einen Tafel markiert. Wenn man sich die Zeit zwischen den Markierungen stoppt, lässt sich die Geschwindigkeit ermitteln. Bei genau 5:00 min pro Kilometer ergibt sich eine Geschwindigkeit von exakt 12,00km/h).
Bei km4, unmittelbar vor der ersten Wende, ist die erste Versorgung aufgebaut. Auf vielen Biertischen ("hihi") ist zuerst Platz für die Spezialisten, die ihre eigene Versorgung zum Rennen mitgebracht haben und dort deponieren können. Dann kommen die Tische mit dem Wasser, den Isogetränken, dann Cola und zum Schluss Bananen. Alle Getränke werden in Plastikbechern gereicht: Helfer halten einem das Getränk entgegen, und man kann gut per Kopfnicken gestikulieren, ob man das möchte oder nicht.
Für die erste Verpflegung habe ich mir vorgenommen,nichts aufzunehmen. Ich möchte durchlaufen und mir meinen idealen Rhythmus, den ich inzwischen gefunden habe, nicht vermurksen lassen. Außerdem habe ich nach 4km noch keinen Durst und bin noch gut drauf. Also weiche ich auf die andere Straßenseite aus um dem Rummel zu entgehen und lauf einfach durch. "Doch, doch. Ich fühl mich großartig !".
ein Novum
bei diesem Marathon war die Schülerstaffel. Hierbei waren etliche Schüler unterschiedlichsten Alters auf der Strecke unterwegs. Sie liefen einige Kilometer - je nach Alter und Leistung - und wurden dann ausgewechselt. Das Ganze war auch perfekt organisiert, einige hundert Meter vor der Wechselstation standen Helfer und gaben per Funk an die Wechselstation weiter, welcher Schüler bzw. welche Schülerin als nächstes in wenigen Sekunden eintreffen würde.
Alle Schüler hatten ein farbiges Band am Körper und waren so gut zu erkennen.
Mir ging es mit den Schülern ganz unterschiedlich: einerseits wollte ich gerade am Anfang den ein oder anderen gerne motivieren und auf die Schulter klopfen oder was zu trinken reichen oder wie auch immer helfen. Schließlich find ich es genial, wenn Kinder und Jugendliche diesen Alters sich für den Sport interessieren. Nicht wenige von ihnen gingen schon vor Ende des zweiten Kilometers, mit den Händen in die Hüften gestemmt und mit hochrotem Kopf. "Naja", denke ich mir "so würde mir Sport dann auch keinen Spaß machen...".
An den Engstellen des Streckenverlaufes fand ich es gleichzeitig auch oft sehr hinderlich. Plötzlich stackste einem ein "Knopf" vor den Füßen herum, wendete plötzlich nach links oder rechts, bleibt unvermittelt stehen und ringt mir den ein oder anderen stillen Fluch ab.
"Hähähähäää" denke ich mir manchmal am Anfang des Laufes, "hat man jemanden zum überholen." - was sich aber gegen Ende des Rennens völlig verkehrte: dann war ich das "Überholfutter" für die Schüler, die frisch ausgeruht in ihrer Staffel irgendwo aus der Ecke sprangen und fluggs an den alten Säcken vorüber preschten, die mit ihrem eigenen Leiden all zu sehr beschäftigt waren... "herrje", "fuck,fuck,fuck. Selbst von Kindern wirst Du hier noch fertig gemacht, unglaublich. Alter Mann, geh heim." dachte ich mir dann.
die erste Runde
endete ziemlich genau wieder in Höhe des Rathausplatzes nach 21km. Auf dem Weg durch die Fußgängerzone waren die Läufer durch Metallgitter von den Zuschauern geschützt - oder umgekehrt - und man lief wie Vieh beim Almabtrieb durch die Meute. Ich suchte mit den Augen schon einige Zeit vorher immer wieder den Rand nach der Tafel mit der "21"ab, aber sie wollte und wollte nicht kommen. Das war so der erste Moment, bei dem ich mich nicht mehr recht wohl in meiner 12km/h-Haut fühlte. Zwar war mein Puls beständig bei 160 geblieben - ein sehr guter und verlässlicher Wert für mich - aber ich merkte an Details, das ich nicht mit 42km zurecht kommen werden würde: ich spürte es und wollte und konnte den Gedanken daran nicht zulassen. Während ich durch die Metallbahn spurtete, spürte ich, wie zunächst meine Schritte immer etwas unsicherer wurden. Nur in minimalen Kleinigkeiten, in Details, aber spürbar. Die Hüfte spannte sich zunehmend an. Zwar war das noch kein Seitenstechen, aber die Vorstufe dazu. Ich versuchte durch besonders intensives und langes Atmen hier wieder Entspannung herbeizuführen, aber das gelang nur teilweise. Erstens war der Gedanke nicht zu verjagen, es "so" nicht in diesem Tempo zu Ende bringen zu können und zweitens wusste oder dachte ich mir, dass sich kein Teil meines Körpers WÄHREND dem Lauf und nach bereits erbrachten 21km würde ENTSPANNEN können.
Ich lief weiter, konsultierte dauernd meine Uhr mit Zeit pro Kilometer und Pulskontrolle und versuchte mir intensiv einzureden: "hey, die erste Runde ist geschafft. KLASSE. Immerhin. Schon die Hälfte durch. NUR noch EINE weitere Runde..."
der Mann mit dem Hammer
kam auch dieses mal wieder zu mir: damit ist gemeint, das man meist ab km30 einen Einbruch erlebt. Als würde einem jemand mit nem Hammer die Beine wegziehen. Die streiken einfach nur noch und wollen nicht mehr. Schlag-artig, im wahrsten Sinne des Wortes.
Nach dem Durchlauf der ersten Runde mit km21 in einer Zeit von 1:46h war ich mit dem Wert und meiner Leistung total zufrieden. Es ging wieder hinaus auf die Kennedybrücke über den Rhein. Alle Detailsignale in mir versammelten sich und präsentierten mir die Quittung für den bisherigen Lauf:"so gehts nicht weiter, so nicht auf 42km". Ich wollte das nicht wahr haben, ich wollte das um keinen Preis akzeptieren. GENAU DAS nicht. GENAU DAS ist der Generalfehler beim Marathon, der mir all zu oft passiert. Daher durfte es diesmal nicht wieder passieren. DIESMAL NICHT. Also: "klar sind die Beine schon etwas schwer, was sollen sie sonst sein, nach 23km ?" - die Sonne kommt mehr und mehr heraus, sofort nimmt die Temperatur zu. Die Zuschauermenge in der zweiten Runde hat spürbar abgenommen, es ist nur an einzelnen Stellen "etwas los".
Auf den ersten Kilometern hatte ich mit vorgenommen, meine Musik (MP3-Player) erst ab km16 einzuschalten, was ich dann generalstabsmäßig auch getan habe. Mit der Gruppe "BAP" versuche ich mich abzulenken, die Kilometer und die zerrinnende Zeit zu vergessen. Das klingt im Ansatz, aber nicht in der Tiefe. Die Spannung in der Hüfte nimmt wieder zu, verstärkt sich nach den hineingehasteten Schlücken Flüssigkeit während dem Lauf. Inzwischen bin ich hier bei Cola angekommen, dem persönlichen Wundermittel bei solchen Veranstaltungen. Wegen des hohen Zuckergehalts gibt es schnell Energie, die jedoch wegen der Eigenschaften dieses Zuckers auch genau so schnell wieder versiegt. "wenn Du mit Cola anfängst, dann geht nichts anderes mehr." Diesem Grundsatz kann ich nur zustimmen. Dennoch gibt weder die Cola noch BAP die Energie zurück.
Es wird quälend offensichtlich, mit jedem Schritt in diesem Lauf: ich werde es nicht schaffen, die 42km durchzulaufen. Ich werde es auch nicht schaffen, den geheimen Wunsch zu realisieren und meine Bestzeit von 3:31h bei einem Marathon anzugreifen oder auch nur in die Nähe zu kommen.
Beim Laufmarathon gibt es im Vergleich zum Radmarathon "keine" Abwechslung. Es ist immer der gleiche Bewegungsablauf, (hoffentlich) immer der gleiche Rhythmus der Beine, der Lunge und des Herzens. Es bleibt immer alles gleich, bis die Distanz überwunden ist. Dann endlich darf man sich hinsetzen und nichts mehr tun. Aber erst dann. Beim Rad ist das anders: durch die Landschaft ändert sich permanent die Anforderung: bergauf, eben , bergab. Der ganze Körper und die Psyche bekommen viele Reize, viel Abwechslung. Die Monotonie der Ausdauer wird überspielt, überstrahlt. Nicht so beim Laufen: "es bleibt alles anders", immer das Gleiche.
Bei km26 kapituliere ich innerlich eigentlich bereits. Es sind noch unsagbare 16km bis zum Ziel, bis zum "endlich aufhören dürfen", doch so wie bisher gehts nun nicht mehr weiter. Ich werde langsamer, ich werde bewußt langsamer, um nicht stehen bleiben zu müssen. Erst wird die Schrittlänge kürzer, dann die Schrittfrequenz niedriger. Immer mehr Läufer ziehen an mir vorbei, ich bin raus aus dem Feld. "Wenn Du langsamer wirst, dann brichst Du ein, dann ist es aus. Durchlaufen, immer im gleichen Tempo. Nicht anhalten, nur nicht stehen bleiben." Das war meine Devise. Nun kapituliere ich auf 4-5km. Das Rheinufer entlang, auf einer Geraden von fast 10km Länge. Das langsamer werden bringt keine Erleichterung, was mein Kopf vorher schon gewußt hat. Die Beine und alles war an die Frequenz von 12km/h bei 160 Puls gewöhnt, eingeschossen, eingelaufen. Jetzt etwas zu ändern, egal ob schneller oder langsamer, zerstört das System und die Bereitschaft, den Lauf zu meistern. Es ist ein quälendes Sterben der Motivation, ein Siechtum des Willens. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Immer länger werden die Kilometer, immer schneller die anderen.
Mit dem Gedanken an den letzten Ötzi und die Bewältigung des Timmelsjoch versuche ich verbissen mir einzureden, "ja bloß weiterzulaufen." Es sind so Gedanken wie "alles ist besser als stehen bleiben" und "der angenehmste Zustand ist das Laufen, nicht die Pause". Aber das hilft alles nichts. Ich ringe die Kilometer nieder, bis sie mich geschafft haben. Besiegt, aus und vorbei. Ich bleibe stehen. Zuerst gehe ich noch, dann bleibe ich wirklich stehen. Kilometer: 35,5. Zweispurige Hauptstraße, fast keine Zuschauer, pralle Sonne inzwischen und noch etwa 1km bis zur Versorgung. Da standen wir dann: ich und der Mann mit dem Hammer. Aus. Vorbei. An der Grenze angekommen. Hier ist sie. Genau hier. "FUCK FUCK FUCK !!!" - klingt nicht gut und nicht nett. Ist aber so. "Scheißdreck aber auch."
die kleinere Qual
ist es dann doch, den Lauf wieder aufzunehmen, nach einigen Schritten, die ich gegangen bin. "Vielleicht komme ich ja doch wieder rein..." (HAHAHAHAAAA !). Ich laufe einige hundert Meter, dann gehe ich wieder viele Schritte. In der Ferne der Versorgungsstand bei km36. Bis dahin laufe ich wieder. Dort bleibe ich stehen bzw. gehe wieder und versorge mich mit Cola und Bananen.
Bei km36 kommt die letzte Wende. Noch einmal macht die Strecke einen Bogen von 180°, ab hier geht es wieder zurück zum Start und zum Ziel. Noch ganze 6 Kilometer. 6.000 Meter. Etwa 8.000 Schritte...
Als ich vor dem Start über der Karte gebeugt dagesessen hatte und mir alles so ansah, da wollte ich ab diesem Punkt "Kilometer 36" noch mal alle Kräfte bündeln und "speed" machen, Gas geben und die letzten Kilometer "einfach so" runterspulen. Das geht tatsächlich, das habe ich schon erlebt. Allerdings nur, wenn noch "alles so im Lot ist", der Laufkörper noch zufriedenstellend arbeitet und vor allem der Geist und das Hirn mit dem bisherigen Lauf zufrieden ist und sich selbst damit motivieren kann, das alles klasse läuft bis hier hin. Dem ist aber heute nicht so. Ich stolper so dahin, mehr gehe ich als das ich laufe, ich fluche und schimpfe und hasse die Distanz bis zum Ziel. Jeder Meter kostet Überwindung. Egal jetzt, weiter.
Meine Beine protestieren mehr und mehr. Jedes Gehen und wieder anlaufen wird zur regelrechten Qual. "Die Beine wollen wirklich nimmer, scheiße" denke ich mir. Öfter bleibe ich nun komplett stehen und dehne die Beine kurz indem ich mich gegen Straßenlaternen stemme, gegen Leitplanken. Neben den anderen Verzweifelten. Wie beim Ötzi am Timmelsjoch nehmen auch hier zwischen km39 und km40 die "Geher und Steher" zu. Diesmal bin ich leider auch einer von ihnen. "Verdammt". Ein Blick zur Uhr: 3Stunden, 40 Minuten seit dem Start. Eigentlich wollte ich seit 10 Minuten im Ziel sein. Doch noch stackse ich hier im Dreck rum. Unendlich langsam. Also wieder Indianermethode: 10 Schritte laufen, 10 Schritte gehen. Zu anstrengend. Bisher gelaufene Kilometer übersetze ich in Schritte des Laufens, dazwischen 10 schritte gehen dürfen. "39 Schritte laufen", "10 Schritte gehen". "39 Schritte Laufen... besser die Laufschritte mal zwei: 78 Schritte laufen, 10 Schritte gehen..."
Irgendwann komme ich wieder an die Metallabsperrungen in der Innenstadt, der Fußgängerzone. Ab hier ist es nicht mehr weit, 1.5 Kilometer höchstens. Also nehm ich noch einmal alles zusammen: wenigstens unter 4 Stunden will ich bleiben, wenigstens das. Die Beine tun weh, brüllen mich an: "bleib endlich stehen, setz Dich, JETZT !" - nix da. Es reicht mir mit dem Laufen, es reicht mir aber auch mit dem Stehenbleiben. Schluss jetzt endlich. Die Abzweigung von der ersten Runde weg zum Rathausplatz. Es sind nur noch wenige hundert Meter zum Ziel. Die Menschen stehen Spalier, der "Metalltunnel" liegt im Schatten, die Hüfte sticht und alles passt nicht mehr zu der Bewegung. Ich laufe immer schneller, ich explodiere fast.
Schluss-Spurt
"Leck mich, leck mich" bei jedem Schritt, bei jedem Bodenkontakt der Fußsohlen. Alles in mir, mein ganzer Körper trompetet: HALT ENDLICH AN ! - nix da. Im Gegenteil: Ich werde immer schneller. Ich überhole noch 4 bis 5 Mitläufer, dann noch einmal 2 vor der Ziellinie. Roter Gummibelag wenige Meter vor dem Ziel. Ich bin irritiert. Der riesige Zielbogen mit der Uhrzeit noch vor mir. Genau 4:00:00 steht da, ich bin verwirrt. Die Beine kommen fast zu stehen, ich schlepp mich einfach weiter und dann bin ich durch, im Ziel.
im Ziel, 42km, in 3:55h (bereinigt), Platz 805 von 1459 Läufern
Keine Luft mehr.
Kein Atem mehr.
Kein Schritt mehr.
Gleich platz ich.
Der Spurt hat alles gekostet, jetzt geht rein gar nichts mehr.
Ich lehne mich über das seitliche Metallgitter, der Schweiß läuft mir überall hinunter, ins Gesicht, in die Augen. "Luft", "ich brauch Luft...". Einige Momente des "Nichts" vergehen, ich steh nur da und staune. Ringe nach Luft. Nach Fassung. Dann wanke ich auf eine der Helferinnen zu, die auch nicht recht weiß, ob sie es denn nun sein muss, die mir die Finishermedallie umhängt oder doch eine ihrer hübschen Kolleginen. Schließlich baumelt das Ding um meinen Hals, ich torkel weiter und entdecke auch schon Holger und Ki, die mich dankenswerter Weise im Zielraum empfangen. Da sie als Halbmarathonis ebenfalls gelaufen sind, passieren sie die Ordner ungehindert, die hier niemand außer den Läufern durchlassen.
Ki reicht mir Wasser, Holger organisiert ein isotonisches, alkoholfreies Erdinger Weißbier: GENIAL.
Ich setz mich zu Boden, lehne an einen Blumenkübel und will vor allem eins: nicht mehr weiterlaufen.
"Nie mehr wieder mach ich so einen Scheiß" denke ich, als ich wieder denken kann. "Nie mehr wieder." "Nie mehr". "Nie."
Außer im Oktober den Münchner Stadtmarathon. 42km, Zieleinlauf im altehrwürdigen Olympiastadion. "Spätestens nächstes Wochenende wieder trainieren gehn. Unter 3:30h". Vielleicht schaffe ich es im Oktober...
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Sonntag, 2. September 2007
Ötztaler Radmarathon 2007
bemir, 16:32h
Herzlichen Glückwunsch an Holger, der mir am Ötzi 2007 satte 75 Minuten abgenommen hat und sein Ziel erreichte, den Ötzi unter 10 Stunden zu fahren (9:45h). Ebenso mein Respekt vor der Leistung von Markus, der mir 38 Minuten abgenommen hat (10:22h) und vor mir das Ziel erreichte. Damit habe ich meine gesteckten Ziele für 2007 verfehlt. Warum ich dennoch mit meinen Leistungen zufrieden bin und was ich dabei erlebt habe, steht in diesem Artikel.
Der Ötztaler-Radmarathon ist ein Rennen für "Jedermann" rund um die Ötztaler Alpen und bei den Hobbyfahrern eines der angesehensten Rennen in Europa.
Die Strecke hat eine Länge von etwa 238km und einen Höhenunterschied von 5500hm (nur Steigungen gerechnet). Für dieses Rennen stehen 4000 Startplätze zur Verfügung, die über die Homepage des Veranstalters an einem bestimmten, vorher nicht bekannten Tag im Februar gebucht werden können. Für das Rennen 2007 hatten sich etwa 20.000 Fahrer "beworben". Von den 4000 Startern "finishten" etwa 3700. Der Italiener Emanuele Negrini gewann in einer Zeit von 7:03 Stunden.
Bild: der Streckenverlauf des Ötztaler Radmarathons:
Sölden - Ötz - Kühtai - Kematen - Innsbruck - Brenner - Sterzing - Jaufenpass - St.Leonhardt - Timmelsjoch - Sölden
Diesmal sollte alles anders werden als letztes Jahr: ich war extrem gut vorbereitet (seit dem 01.01.2007 bis zum Ötzi etwa 6000km und 50.000hm Training auf dem Rad gefahren) und hatte auch den Tag des Ötzi 2007 selbst bis ins Detail geplant: 4:45 Uhr aufstehen, duschen, zum Frühstück unter anderem einen Teller Spaghetti essen, sich um kurz vor 6:00 Uhr zum Start aufstellen, alles kein Problem. Überhaupt kam das Problem erst am Timmelsjoch. Bei mir jedenfalls.
Zum Start um 6:30 Uhr war perfektes Wetter: 9 Stunden Sonnenschein wurden gemeldet, Temperaturen in Sölden um 23-24°C, besser kanns nicht sein. Nicht wie im Vorjahr, als es in der Nacht zuvor noch höllisch geregnet hatte. Dementsprechend fiel auch die Kleiderwahl aus: 3/4 Hose, ein Trikot, Weste, Armlinge und ab dafür.
Die Startvorbereitung im Zielraum war weniger hektisch wie letztes Jahr und Markus musste nur einmal raus zum pinkeln. Um eine äußerst attraktive Blonde mit langem Zopf unter ihrem Sturzhelm war durch ausreichenden Respektabstand genügend Platz für uns gelassen worden, daher nervten die paar Idioten auch nicht besonders, die wenige Minuten vor dem Start "nur noch schnell" komplett mit Rad mal quer durch die Menge und nur noch schnell da und dort... "herrje, gut JETZT! ".
Etwa 5 Minuten vor dem Start knallt es plötzlich heftig unmittelbar neben uns. Kurze Irritationsphase, und dann kristallisiert sich aus der Aufregung und dem hektischen Treiben um uns herum der arme Tropf heraus, dem Minuten vor dem Start gleich mal der Vorderreifen geplatzt ist... einfach so. Zu viel Druck drinnen, aber vielleicht lieber hier geplatzt als später auf der Strecke.
Um 6:30 Uhr dann der Startschuss , der wie letztes Jahr in den hinteren Reihen satte 10min ohne Wirkung bleibt. So lange braucht das Feld der 4000 Teilnehmer, um bis nach uns hinten in Schwung zu kommen. Noch ein letztes "shake hands" mit Markus, Pedale klicken um uns herum und nach noch einer kurzen Verzögerung gehts dann endlich los. Die Menge um uns klatscht und applaudiert und ich fühle mich großartig. "Heut kann der Ötzi kommen", alles in perfekter Verfassung und ich mitten drinn unter blauem Himmel zwischen 4000 anderen Radsportlern und den herrlichen Bergen.
Die Abfahrt nach Ötz verläuft für mich wenig spektakulär und recht zügig. Ich habe mir vorher (mit Hilfe von Holgers HACK-DATEN von 2006) eine Tabelle mit den Durchfahrtszeiten der verschiedenen Streckenpunkte errechnet und mir in Minimalform auf den Lenkervorbau geklebt, damit ich die Zeiten nicht vergesse (denn irgendwann vergisst man beim Ötzi ALLES). Für die 32km Abfahrt habe ich mir 43 Minuten gegeben und erledige sie tatsächlich in 49min.
Irgendwo in der Abfahrt bremst das ganze Feld vor mir plötzlich ab und drückt sich an einem Sanitäterauto vorbei: 2 Kollegen sitzen neben ihren Rädern im Graben und müssen offensichtlich versorgt werden. Überhaupt wird die Strecke diesmal auffallend oft von Teilnehmern umrandet, die stehen geblieben sind, die nen Platten haben, die verunfallen oder sonst welche Ausfälle zur Pause oder Aufgabe zwingt.
Neben meiner Zeittabelle lege ich mir also im Kopf verschiedene Ziele fest:
Ziel 1: Start erfolgreich absolvieren = geschafft.
Ziel 2: ohne Unfall Ötz erreichen = geschafft.
usw.
Die GORE-Weste leistet erstaunlich gute Arbeit und ich bin schnell auf "Betriebstemperatur" bei der Abfahrt. Ich versuche die Balance aus "nicht zu viel riskieren" und "nicht der langsamste werden" und bin sehr zufrieden damit. Zwar werde ich immer wieder von Heeren anderer Teilnehmer in den unmöglichsten Streckenabschitten überholt, doch nie verliere ich den sonst wesentlich schnelleren Markus aus den Augen. Daher passt alles, auch wenn sich der Hintern an diesem Morgen erst noch an den Sattel gewöhnen muss.
der Abzweig in Ötz hinauf zum Kühtai mit seinen 1200hm Differenz stellt ein weiteres Ziel im Kopf dar und ich durchfahre es ganz euphorisch: letztes Jahr stand ich neben den vielen anderen hier in der Kurve und hab an meiner Jacke und der Weste rumgezettelt, heuer nicht: dank des Wetters und der Ausrüstung gleich ab durch die Kurve, runterschalten, und "weg da !". Allerdings bleibt das "weg da" ein frommer Wunsch, denn wie letztes Jahr verrammelt der Rückstau der Auffahrt ein schnelles pedalieren in den ersten Anstieg, der mit seinen maximalen 17,5% Steigung droht.
Eine weitere Strategie , die ich mir dieses Jahr zurecht gelegt hatte lautete: "trinke den Berg klein !" - Damit wollte ich in einem frei bestimmbaren Intervall regelmäßig einige Züge aus der Flasche trinken, und somit zum einen den regelmäßigen Flüssigkeitsbedarf decken und zum anderen nicht auf Kilometer und Höhenmeter schielen, sondern Landschaft genießen (bewußt genießen um im positiven Denken zu bleiben: "ach die schönen Bäume, geiles Tal, hier mal wandern gehn, usw") und mich von Trinkzeit zu Trinkzeit fahren. Ich wählte einen Intervall von 10min für das Kühtai, kurbelte mich zwischen all den anderen Teilnehmern regelrecht in Laune, behielt nur meine Uhr im engeren Blickfeld und war schneller auf dem Kühtai oben, als ich dachte. Nur die 17,5% Steigung waren mit meiner 27er-34er Übersetzung nicht zu leugnen. Allerdings nervte mich da mehr das Knarzen in meinen Radschuhen (kein Witz: steife Sohle aus Kunststoff "knarrzt" tatsächlich - bei jeder Kurbelumdrehung, was echt nerven kann) als die Steigung. 1 Stunde und 25 Minuten benötige ich bis oben, 1:22h hatte ich eingeplant.
Leider spielten sie oben am Kühtai diesmal kein "AC / DC" sondern nur "Red Hot Chilli Peppers" und kurz vor der Labe dudelte sogar noch einer auf seiner Zieharmonika. "Arrrrgh, weg da, Platz machen, aufd Seite jetzt!" denke ich mir, halte kaum an, bleib auf dem Rad um meine Flasche wieder zu füllen, stopf mir noch extrem schnell ne halbe Banane rein und bin gleich wieder weg. Ziel fast erreicht: Pausenzeit von unter 1min. Ab und weg, die geniale Höllenabfahrt runter nach Kematen.
Bild: die Auffahrt zum Kühtai ist geschafft. 2h 13min seit dem Startschuß in Ötz, 51km und 1200 Höhenmeter.
Und wieder gilt es auf dem genialen Abflug runter nach Kematen die ideale Linie zwischen Vernunft und Wahnsinn zu finden, zwischen Spaß und Ernst. Und während ich mich mit zunehmender Begeisterung durch die Kurven schwinge, gehen mir verschiedene Gedanken durch den Kopf: "hast 2 Kinder daheim, also fahr langsam" und "wenn du kein Risiko eingehen wolltest, hättest du daheim bleiben müssen. Das Risiko fing an, als Du dich angemeldet hast. Also Klappe halten und Gas geben...". Im Vergleich zu letztem Jahr machen mir auch die Abfahrten dieses Jahr richtig Spaß. Es ist ideales Wetter, blauer Himmel, zur RICHTiGEN Zeit am RICHTIGEN Ort. Alles funktioniert perfekt am Rad und an mir, also kein Grund zur übertriebenen Vorsicht.
Oft laß ich es einfach laufen, aber an einigen Stellen zieht die Angst dann doch die Bremshebel vorsichtig zu: bei unübersichtlichen Kurven, extremen Gefälle oder einfach zu hoher Geschwindigkeit. Von Zeit zu Zeit stehen Zuschauer am Strassenrand und klatschen uns zu, oft werde ich überholt, manchmal überhole ich auch welche, die noch vorsichtiger sind als ich. Als ich schließlich unten ankomme, zeigt mein Tacho bei der maximalen Geschwindigkeit irgendwas mit 70 Sachen an. Das ist recht flott, aber nichts Besonderes. Das hab ich hier auf meinen Trainingsrunden in der Fränkischen auch schon oft erreicht.
Viel später, nach dem Rennen, im Hotelzimmer meint Markus dann zu mir, das sein Tacho bei der Abfahrt nach Kematen bei einer Geschwindigkeit von 99km/h "abgeregelt hat", weil er einfach keine 3 Ziffern anzeigen kann. Also war ich nicht wirklich "schnell", aber es hat gereicht. Ich fands toll, und unten angekommen bin ich auch - ohne Panne und ohne Verletzungen, was heute nicht selbstverständlich bleiben sollte...
Die Fahrt nach Innsbruck verlief sehr schnell und extrem unspektakulär. Lediglich die Muskeln kühlen bei der Abfahrt etwas ab, und nach all der Anstrengung VORHER das Kühtai hinauf bremst das zu erst etwas, wird dann in der Ebene im Pulk mit all den anderen Mitstreitern schnell wieder besser.
An jeder Kreuzung stoppen Helfer und Polizei den Verkehr, heute haben die Radler absolute Vorfahrt. Mit 40-45km/h in der Ebene geht es schnell nach Innsbruck rein und auch gleich wieder raus und die alte Brennerstrasse hinauf zum Brennerpaß.
Jeder von uns drei hat hier am Brenner letztes Jahr seine Fehler gemacht, geht es doch knapp 40km lang beständig bergauf und erst am Schluss mal eben mit 12% Steigung. Hier braucht man die "richtige" schnelle Gruppe, die einem den Windschatten bringt. Natürlich geht mir durch den Kopf, dass dies quasi die "Erholung" der Pässe sein wird, da am wenigsten steil. Und so gleich werden die Beine schwer, den auch 5,6 und 7% wollen gekurbelt werden und sind keine Erholung im eigentlichen Sinne.
Auf der Suche nach der "richtigen" Gruppe überhole ich etliche Fahrer, komme langsam in ein Tempo zwischen 20 und 25km/h und habe auf einmal Markus vor- und neben mir. Sofort beginnt der "Psychokrieg" des unauffälligen nebeneinander her fahren und doch einen Vorsprung heraus holen. Mal ist Markus vor mir und schnell vier und fünf Fahrer zwischen uns, mal ich. Erst nach einigem hin und her gelingt mir der Anschluss an eine wirklich schnelle Gruppe, Markus bleibt hinter mir und ich bin weg. Ein psychologisch "wichtiger Sieg für mich", denke ich mir, und versuche mir den Abstand zu Markus vorzustellen und auszubauen. Als mache Fahrer der Gruppe zu schnell für mich werden, lasse ich abreißen, bleibe aber im Pulk der Schnelleren, und fühl mich sau-wohl. Den Trinkintervall hab ich hier am Brenner auf 15 Minuten gesetzt, im Zeitplan bin ich auch wieder seit Innsbruck, und so kurbel ich mich den Brenner herauf.
Wir passieren Hinweistafeln, auf denen steht nur noch "5km bis zum Brennersee", und ich rechne schnell durch, wie viele Minuten ich noch bis oben brauche. Bei einer Ortsdurchfahrt wird es plötzlich unvermittelt eng, als ein Reisebus auf der schmalen Gegenfahrbahn auftaucht. Die Gruppe vor mir bremst abrupt ab, was in einer Meute bei 25km/h und wenigen Zentimetern zwischen den Reifen zum Vordermann verdammt plötzlich erscheint. Wie eine Schockwelle setzt sich das unvermittelte Bremsmanöver nach hinten durch, und ich höre hinter mir nur noch einen unvollendeten Fluch und dann das unheilvolle Scheppern der Radler hinter mir. Sie sind kollidiert und gestürzt, noch BEVOR der Bus bei ihnen gewesen ist. Direkt nach mir reißt die Kleingruppe ab und es kommen mal erst nur wenige nach..., aber wie immer bei diesem Rennen: "ja, man kann stürzen, - ja, es kann etwas passieren, - nein, ich nicht, also WEITER und weg...
Noch vor Markus bin ich auf dem Brenner oben, fast im Zeitplan (nur 4 Minuten über meinem Soll). Hier ist die zweite Labe eingerichtet und die Ausgabe von Kuchen, Bananen, Broten, Cola, Red Bull, Wasser, Iso-star, Zitronen und was weiß ich im vollen Gang. Ich pinkel nur schnell am Rand in die Wiese, schnapp mir eine halbe Banane, fülle meine Flasche mit "irgendwas" und "hopp" rauf aufs Rad und weg. Nur schnell weiter, jede Verpflegung ist Unterbrechung und "stört" irgendwie. Ich fühl mich etwas müde und gebraucht, bin aber noch allerbester Dinge und das Wetter ist tadellos. Erholen und stärken will ich mich bei der Abfahrt nach Sterzing.
Also Kette auf das große Blatt und ab dafür. Kragen der genialen Weste hoch, Armlinge runter und rein in den Windschatten der Vorfahrenden. Mehr wie 70 km/h werden es auch hier nicht, aber das macht nichts.
Auch bei dieser Abfahrt überholen mich einige Fahrer, aber die 120km seit dem Start und die zwei Versorgungsstationen haben das Feld doch schon ordentlich ausgedünnt, und so habe ich viel Platz auf der Fahrt runter nach Sterzing. Wieder komme ich an Plätzen vorbei, die ich hier schon mit Holger und Markus auf unseren genialen Alpenüberquerungen per Mountain-Bike passiert haben, aber das tangiert mich heute nicht. Ich habe nur meine Tabelle im Kopf und sehe die Zeit verstreichen, freue mich über unverhofft eingesparte Minuten und ärgere mich über jede Minute, die ich über dem SOLL liege. Überhaupt gelingt es mir heute, mental das Rennen als EINE große Strecke zu betrachten und nicht als viele Teilabschnitte zwischen den Laben. Ich hab mein Ziel vor Augen: unter 10 Stunden, und wenn auch das inzwischen schon nciht mehr recht realistisch scheint, so ist eine Zeit von knapp über 10h doch in greifbarer Nähe. Also bin ich bestens gelaunt und motiviert, freue mich an der Abfahrt und der Geschwindigkeit (wieder was mit 70km/h) und überlege so heimlich in mich hinein, wie viel ich eigentlich bereits gegessen habe: erschreckend wenig. Zwar hab ich 4 Powerriegel dabei, aber wenn ich kann vermeide ich die süße Pampe, auch wenn sie Energie gibt. Am Kühtai halbe Banane geschluckt, am Brenner auch halbe Banane und sonst nichts weiter. Hmmm. Aber irgendwie keinen Hunger, auch keine Lust was zu essen. Geht so auch. Muß so auch gehn...
Die Auffahrt auf den Jaufenpass ist bekannt unter den Ötzi-Fahrern. Sie gilt als nicht besonders schwer, hat etwa 1000 Höhenmeter Unterschied auf etwa 22km zu bieten und zeichnet sich von Sterzing kommend durch eine recht kontinuierliche Steigung von durchschnittlich etwa 7% aus. Die Passstrasse führt schnell in den Wald, dort durch zahlreiche Serpentinen und dann ein gutes Stück in der baumfreien Zone bis hinauf zum Pass.
Als ich hier letztes Jahr zum ersten mal hinauf pedalierte, da empfand ich die Gleichmäßigkeit schnell als eintönig, mein Fuß schmerzte unbegreiflicher Weise erheblich im Schuh und ich pausierte oberhalb der Baumgrenze, was absolut nichts einbrachte. Dieses Jahr wollte ich dem entgehen und stellte mich also auf einen monotonen Anstieg ein. Ich versuchte krampfhaft, mein positives Denken aufrecht zu erhalten ("hey, tolle Aussicht", "SEHR schöner Wald", "geil wieder eine Kehre", "ahhh, keine Autos, die ganze Strasse heute nur für uns Radler") und ich zwang mich wieder in einen Trinkintervall von 10min.
Nach zwei Drittel des Anstieges begann zwar wieder mein Fuß zu schmerzen ("???") - wofür ich auch diesmal keine Erklärung finden kann - zumal ich meine Radlschuhe extra mit den Einlegesohlen meiner Joggingschuhe "frisiert" habe - aber ich verscheuchte schnell jeden Gedanken an ein "bleib halt mal stehen, halte einfach mal an" und kurbelte stoisch weiter bergauf. Das Wetter blieb fantastisch, nur einige wenige Schleierwolken am blauen Himmel, die recht dankbar die pralle Sonne im Zaun hielten.
Kurz vor den letzten Kehren und schon in Sichtweite des Passes und der nächsten Pause zog völlig überraschend Markus an mir vorbei, den ich weit am Brenner hinter mir gelassen hatte. Hier am Jaufenpass hatte ich ihm keine Chance eingeräumt, mich einzuholen. Zu oft hatte er bei langen Anstiegen mit seinen undefinierbaren Beinkrämpfen zu tun, und oft schon war ich an Steigungen schneller als er. Sein PLUS sind die Abfahrten, mein PLUS die Steigungen. Und dann das: locker flockig vorbei mit einem "ahh schau an, der Bernd" und schnell noch meinen Sattel mit der rechten Hand angeschoben, als würde ich es alleine nicht schaffen.
"Ja leck doch mich am---", weiter reichte meine Energie kurz unterhalb des Passes nicht mehr. Mir war zwar bewusst, das auch Markus hier im "roten Bereich" die Pedale trat, gerade um schnell und cool zu sein und mich psychisch am Jaufenpass zu besiegen. Ein strategisch extrem guter Zeitpunkt, geht es doch gleich danach ins Timmelsjoch, der Kür der Kür. Kurz überlegte ich noch, ihm nachzusetzen und gnadenlos niederzurennen, um erster von uns beiden am Pass oben zu sein. Aus unseren Trainingsfahrten letztes Jahr und dem Arber Radmarathon 2006 kennen wir beide solche Situationen nur zu gut. Jeder verfolgt den anderen, auch wenn die Oberschenkel brennen, das Herz rast und der Puls zu explodieren scheint. Die Lunge brennt, der Kopf denkt: "nur noch die Umdrehung, nur noch die eine, nur noch die" und "er kann auch nicht mehr, ihm tuts auch weh, gleich gibt er auf, gleich lässt er es sein, bleib drann bleib drann nur noch eine weitere Umdrehung, gib nicht auf..." usw. Auf diese Art und Weise fuhren wir 2006 am Ende des Arber Radmarathons, nach 240km und 3500hm in einer Gruppe von 30-40 Rennradlern die letzten 10km in der Ebene auf Regensburg zu. An der Spitze der Gruppe muss man die meiste Arbeit machen, denn der Luftwiderstand muss gebrochen werden, während alle nachkommenden Radler zwar genau so schnell sind, aber deutlich weniger leisten müssen, als der Erste. Als wir dann an der Reihe waren, übernahmen wir die Gruppe bei etwa 35km/h und traten weiter und weiter und weiter. Plötzlich riefen sie von weit hinter uns. Wir hatten als Führende die Gruppe gesprengt und waren auf über 42km/h im Schnitt davon gefahren. Genau daran musste ich kurz denken, als ich zögerte, Markus nachzusetzen und am Jaufenpass moralisch den Garaus zu machen. Schließlich hatte ich geführt, vor Regensburg, letztes Jahr... aber ich verwerfe den Gedanken und lasse Markus ziehen. Ersten habe ich den Pass gleich erreicht, zweitens hat sein Plan funktioniert und ich bin völlig perplex und frustriert und drittens fühle ich meine Energie schwinden und denken mit Angst an das noch bevorstehende Timmelsjoch. Jetzt auf "Teufel-komm-raus" zur Passhöhe zu spurten und die Beine schwer zu fahren würde keinen Sinn ergeben und mich am Timmelsjoch zerschmettern. Vielleicht auch das die Absicht von Markus ? - will er mich aufs Glatteis führen und mich mit meinem eigenen Ehrgeiz schlagen. "Nix da, Klappe halten, weiter kurbeln. Laß ihn ziehen, geht eh nicht anders, is eh schon weg. Soll er doch. Scheißdreck aber auch, verdammt noch mal. Kann doch nicht wahr sein. Gibts doch nicht. Scheiße. Leck mich..."
Etwa 5 Minuten später bin ich erschöpft oben am Pass angekommen, habe wieder keinen Hunger, mag nichts essen außer einem Stück Apfel. Als ich versuche, etwas "Red Bull" zu trinken um Energie in mich rein zu pumpen, muss ich fast speien. Das zeug schmeckt höchst eklig, ich schmeiße es weg und fahre gleich weiter. Weste zu, Armlinge runter und ab nach St.Leonhardt. 21km bergab und 1300hm Sturzflug. Für manche im wahrsten Sinne des Wortes, wie sich später zeigen sollte...
Bild: oben am Jaufenpass angekommen... endlich ! 6h und 30min seit dem Start, 160km und etwa 3200 Höhenmeter.
Irgendwie vertrödel ich dann doch ein paar Minuten oben am Jaufenpass. Mit NULL nachgeführter Energie geht es in den "downhill" runter nach St.Leonhardt. Noch vom letzten Jahr her kenne ich die Abfahrt. Sie ist lang, ewig lang. Sie zieht sich durch viele Kehren, vor denen man immer gnadenlos die angesammelte Geschwindigkeit runterbremsen muß. Heute ist die Strasse trocken und die Luft warm, man sieht weit hinunter ins Tal. Bei der Abfahrt braucht man kaum zu treten, ausser wenn man aus den Kehren heraus beschleunigt. Bei meiner Übersetzung am Rennrad kann ich etwa angenehm bis 50km/h treten, ab dann rollt es sich schneller als ich kurbeln kann. S-Kurve folgt auf S-Kurve, und wie weit ich die Strecke einsehen kann entscheidet, wie schnell ich fahre. Und je länger die Abfahrt dauert, desto mehr komme ich in Schwung. Es macht ungemein Spass, die Strasse in ihrer ganzen Breite zu nutzen und erst im letzten Moment die Bremsen beißen zu lassen. Mehr und mehr geht es an den Punkt im Inneren, bei dem die innere Stimme sagt: "aber übertreib es nicht !". Zudem gibt es auf der Passtrasse viele Rillen, die längs zur Fahrtrichtung im Asphalt verlaufen. Wenn man hier mit 70km/h auf 11-12mm breiten Gummireifen in solche Längsrillen gerät, dann... lieber nicht. Also ist die Abfahrt auch ein Tanz zwischen den Rillen, mit der Uhr und dem Verstand.
Als ich schon beinahe in St-Leonhardt angekommen bin, geht es wieder durch einige S-Kurven auf eine Spitzkehre zu. Des öfteren haben mich einige Fahrer auf der Abfahrt überholt. Da die Fahrtgeräusche während der Abfahrt doch ganz erheblich sind, bekommt man von den überholenden Fahrern wenig mit. Sie tauchen an den merkwürdigsten Stellen des Passes aus dem "Nichts" auf und donnern regelrecht an einem vorbei. Als gäbe es kein morgen. Wenn ich meinerseits Fahrer überhole (auch das gibt es), dann warte ich doch wenigstens einen Streckenabschnitt ab, der so einigermaßen so aussieht, als könnte ich ungefährdet den Vordemann überholen und dann auch noch rechtzeitig vor der nächsten Kurve auch wieder abbremsen. Doch mit dieser Auffassung fahr ich manchmal recht alleine nach St.Leonhardt hinab...
Kurz vor einer der letzten Spitzkehren der Abfahrt, am Beginn des Ortes - ich habe schon stark vor der Spitzkehre abgebremst - höre ich hinter mir das Pfeifen einer Bremse, dann das kurze quitschen der Reifen, welches abrupt vom Klang "Metall auf Metall" abgelöst wird: ein Mitstreiter hat sich in der S-Kurve verschätzt oder verbremst, bremste noch mit blockierenden Rädern und knallte dann auf die Leitplanken der Fahrbahn. Als ich erschrocken nach hinten sehe, erkenne ich nur noch das Beinpaar, wie es über die Leitplanken abtaucht. Hat der Typ Glück gehabt: gerade an der Stelle der Abfahrt liegt ein grün bewachsenes Steilstück neben der Strasse und der Typ landet relativ weich im Gras... .
Kurz vor der Spitzkehre bremst mich ein Polizist per Handzeichen ab und mahnt zur Vorsicht, weil ein anderer Mitstreiter zu Fuß auf der Fahrbahn unterwegs ist, um verlorene Teile seiner Ausrüstung wieder einzusammeln. Keine Ahnung, ob er sie so einfach verloren hat, oder auch "gecrasht" ist. Später, beim "Bier danach" erzählt Holger, das bei ihm (als er etwa eine 3/4 Stunde eher hier durchgekommen ist) ein anderer Mitstreiter sich in der Spitzkehre verbremste und statt um die 180°-Kurve grad aus in die Steinmauer gekracht ist...
Unten angeommen in St.Leonhardt schmerzen mir die Handgelenke vom bremsen und die Schultern von der angestrengten Haltung auf dem Rad. "Scheiße, letztes Jahr ging das besser" denke ich mir, und "wärst halt öfter klettern gegangen, dann hättest du diese Muskeln auch mal trainiert. Aber nee, immer nur auf dem Bock gesessen... selbst schuld."
doch immerhin bin ich angekommen unten, weit vor dem Zeitlimit und 2 Stunden schneller als letztes Jahr. Ich bin zufrieden mit mir, fahr rechts rann und packe ein Powerbar aus, der mir Energie geben soll. Zwar ekelt es mich vor der süßen Pampe, aber ab hier geht es sofort und ohne Pause in den 30km-Anstieg zum Timmelsjoch hinauf. Energie muß in mich hinein, koste es, was es wolle. Rein damit. Ich zwinge mir den ganzen Riegel in den Mund, spüle mit Wasser kräftig nach, damit das Zeug schneller im Magen landet und klick auch schon wieder in die Pedale. Unter einer Minute für die Pause, ab und weiter. Die Temperatur am Tacho zeigt etwa 32°C, die Sonne scheint vom fast wolkenlosen Himmel und ich spüre, wie ich nicht bereit bin für die Kür der Kür, die Creme der Creme, den eigentlichen Zweck des Unternehmens: den Abschluß am Timmelsjoch !
Die Auffahrt zum Timmelsjoch ist das, worum es hier eigentlich vom Start weg geht. Sie zieht sich etwa über 32km und hat eine Höhendifferenz von 1700Meter. die Steigung schwankt zwischen einem Flachstück nach 2/3 des Anstieges von etwa 1-2% und an vielen Stellen 11-12%, dazu sehr unregelmäßig. Wie oft, wenn ich in den Nächten vor dem Rennen nicht schlafen konnte habe ich mir dieses Stück vorgestellt. Bis hier hin wollte ich mich schonen um dann hier mein Letztes zu geben. Von der Popgruppe "BAP" gab es mal ein geniales Lied, als es die DDR noch gab und sie eine Tournee planten und dann nicht dort spielen durften: "Und deshalb spieln mer hee (hier)! " - genau DAS ist es. Deshalb spielen wir hier: wegen dem Timmelsjoch. Es ist nicht das Hindernis zwischen mir und dem Ziel, es ist der Grund, weswegen der Ötzi diese Aura und diese Anziehungskraft hat: nach bereits absolvierten 180 Kilometern und 3500 Höhenmetern kommt dieses Monstrum erst noch. Fängt erst an. Hier und jetzt. Und ich fühl mich wie ausgekotzt und ausgeschissen. Leer gepumpt und flach im Wind. Zwar gibt der Powerbar noch mal kurz Energie, aber mir wird in meinem Nebel von Anstrengung und Schweißperlen auf der Stirn und in den Augen langsam klar, dass ich die Energie vergessen habe: zu wenig aufgefüttert, zu wenig gegessen. Zwar auf das Trinken geachtet, aber jetzt mit leeren Akkus am Start. UNTEN am Start, am Beginn des einzig wahren Passes, der echten Prüfung. Da komm ich mit leeren Taschen daher.
"Egal, macht nix. Fahr weiter" denke ich mir und schwindel mich die ersten Steigungen hinauf. Es ist sommerlich warm, die Beine sind angespannt, fast schon verkrampft und ich fahr mit der gleichen Geschwindigkeit wie die anderen in die Steigungen hinein. Doch bald schon legen die "anderen" einen Abstand zwischen sich und mir, und ich folge wieder nicht. Vielmehr spüre ich das starke innere Bedürfnis, in einem festen, sich nicht verändernden Rhythmus den Anstieg zu bewältigen. Dafür gibt es nur ein Wort: stoisch ! - mit dem Schweiß fließt auch JEDER Elan aus mir heraus, mir wird alles egal um mich herum, und zwar sehr SCHNELL. Es gibt nur noch mich und die Steigung und die Geschwindigkeitsanzeige. Sie tanzt immer zwischen lächerlichen 6,5 und 8km/h, je nach Steigung. Mir ist zum kotzen schlecht, aber wie durch ein Wunder DENKE ich nicht daran, anzuhalten oder aufzuhören. Ich wünsche mir nicht das anhalten, auch wenn ich damit kämpfe. Ich WILL nicht anhalten, um keinen Preis. Überhaupt höre ich auf zu denken. Es gibt nichts mehr zu denken, es ist alles gedacht an diesem Punkt. Die Kraft ist draußen, die Energie in mir scheints verbrannt und der Elan gestorben. Also kurbel ich. Mit knarzenden Schuhsohlen und schleichendem Tempo. Umdrehung für Umdrehung. Steigung um Steigung. Kehre um Kehre. An nichts mehr denken, nur noch: "Halts Maul und trete". Stundenlang. Bis zur Passhöhe werde ich geschlagene 3:15h benötigen. Doch jetzt bin ich noch sehr viel weiter unten, sehr viel weiter. Ganz unten.
Es dauert endlos lange, bis ich endlich die erste Verpflegungsstelle am Timmelsjoch erreiche. Ich wünsche sie mir herbei, ich ersehne sie hinter jeder Kurve, aber ich weiß vom Vorjahr, dass es länger dauert als gedacht, bis man wirklich dort oben ist. Inzwischen bleiben doch so einige Mitstreiter am Wegesrand stehen, vor allem die Tunnels bieten erholsame Abkühlung. Auch die Bergbächlein am Strassenrand sind willkommene Erfrischungen. Natürlich denke ich auch daran, anzuhalten, aber ich tu es nicht. Wahrscheinlich hätte es meine Zeit verbessert, wenn ich es getan hätte, aber mein letzter Trumpf ist mein Wille: es wird nicht angehalten, unter keinen Umständen und zu keinem Preis. "Fahrn oder umfallen" denke ich mir, aber in Wirklichkeit ist das gleichmäßige Treten noch immer das Beste von allem. Es ist besser, als wieder anfahren zu müssen. Es ist besser, als all die anderen weiterfahren zu sehen, wenn man selbst angehalten hat. Das stetige kurbeln ist überhaupt das einzig erträgliche. Inzwischen geben nicht mehr meine Beine die Geschwindigkeit vor, sondern der Drang zum Speien. Ich fühle genau den haarfeinen Unterschied zwischen "geht noch" und "zu schnell". Also kurbel ich noch langsamer, aber ich kurbel. Nichts wird mich aufhalten. Ich fahr weiter. Umdrehung für Umdrehung. Die Strasse seh ich nicht mehr hinauf. Ich schaue viel mehr neben mich oder auf den Tacho oder auf meine Beine. Irgendwann bin ich an der ersten Labe. Ich stelle das Rad ab, denke an Brot und Red Bull zwecks Energie und muß schon bei dem Gedanken fast kotzen. Also hol ich mir ein Stück Apfel und ein großen Becher Cola und setz mich in die Sonne am Strassenrand, neben die anderen. Unzählige Bikes stehen hier und jeder kennt noch die weiteren 800 Höhenmeter, bis man den Pass oben ist. "Mir egal". Mein Lieblingsgedanke, inzwischen. Es gibt nichts zu reden mit den anderen, es gibt nichts zu lösen. Nichts kann die Situation verändern oder beenden. Nur weiterkurbeln. Also dauert es nicht lange (auf die Uhr sehe ich auch inzwischen nicht mehr) und ich sitz wieder im Sattel. Kurbel weiter. Weiter. Immer weiter. "Mir egal". Weiter. Noch weiter. "Mir egal". Es kommen die Serpentinen im oberen Stück, wieder mit 11-12%. Die Beine sind bedrohlich nahe am krampfen. "Mir egal". Weiter. Zwar überholen mich etliche andere, aber die Zahl der "Geher" und "Steher" nimmt beständig zu hier oben. Es wird spürbar kälter, und bald kann ich die letzten Kehren vor dem Tunnel oben am Pass ausmachen. Ich trete immer weiter, nicht schnell, nicht beflügelt von dem bevorstehenden Ende des Passes, aber ich kurbel. Es gibt kein stehen bleiben und kein aufhören. "Weiterfahrn". "Fahr weiter". "Weiter."
Bild: Nach 212 Kilometern und 5300 Höhenmetern in 10 Stunden und 15 Minuten oben am Timmelsjoch. Holger ist zu der Zeit schon unten im Ziel, seit einer halben Stunde...
Im Grunde ist der Pass oben am Timmelsjoch das letzte Hindernis des Rennens. Während der ganzen Fahrt, während der Tage und Wochen vor dem Start kreisen die Gedanken um diese Anhöhe, diesen magischen Punkt. Ab hier hat man es geschafft. Ab hier ist man am Ziel, im Grunde. Es gibt keine wesentlich Steigung mehr, nur noch ein "kleiner" allerletzter Gegenanstieg an der Mautstelle des Passes mit 200 Höhenmetern und der Rest besteht aus Abfahrt runter nach Sölden, dem Start und dem Ziel des Rennens.
Während dem Training und der mentalen Vorbereitung habe ich mich in Gedanken hier oben gesehen: das Letzte geben im Zweikampf mit der Uhr und am besten im Zweikampf mit Holger und Markus. Unnachgiebig die endlose Steigung hochkurbeln und dann oben, am Pass, in den so genannten Wiegetritt gehen, bei dem mann auf den Pedalen steht, den Oberkörper weit über die Kurbel beugt und mit aller Wucht die Kraft auf die Strasse bringt. Für kurze Zeit bringt das einen ordentlichen Schub, ein Geschwindigkeitssprung, der sich direkt in der Erhöhung der Pulsfrequenz ablesen läßt. Je nach Training kann man den Wiegetritt unterschiedlich lange durchziehen, aber meist sind es einige wenige Minuten. Mit diesem Spurt wollte ich oben am Pass dem Rennen und meiner Leistung die Krone aufsetzen - in der Vorstellung. Tatsächlich ist es fast 17:00 Uhr, als ich im monotonen Treten ganz ganz ganz oben angekommen bin. Einige Fahrer halten hier an und genießen diesen sehr speziellen Punkt im Rennen, den höchsten Punkt der Strecke und den Gipfel der persönlichen Leistungs- und Leidensfähigkeit. Das hätte ich auch gewollt, wäre da in den letzten drei Stunden noch was "gegangen". So aber fühle ich mich vor allem leer und ausdruckslos. Von Wiegetritt und angespannten Muskeln in der letzten Beschleunigung kann gar keine Rede sein. Nicht im Entferntesten. Und es ist mir auch scheiß-egal geworden. So weit reichten die verbliebenen Synapsen im Hirn noch, um mir auszurechnen, dass ich (fast) alle meine Ziele NICHT erreicht hatte: unter 10 Stunden fahren und schneller als Holger oder Markus sein. Einzig schneller als letztes Jahr könnte ich noch werden, und sturzfrei ankommen könnte ich auch noch. "Mir egal." Da isses wieder. So lange ich kurbel, isses egal. Also kurbel ich.
Am Pass gibt es also nichts zu feiern für mich; ich bin nicht deprimiert und nicht am Ende. Ich bin einfach nur leer. Da ich wenigstens schneller als 2006 sein möchte, halte ich nicht mal an, um mir die Sonnenbrille wieder aufzusetzen, die ich bei der Abfahrt doch dringend brauche. "Reicht auch noch beim Gegenanstieg" denke ich mir, schalte in den höchsten Gang und kurbel einfach runter, so schnell ich kann. Grad zwei Kehren weiter zwinge ich mich nach einer Spitzkehre dann doch zum Halt und setz das Teil auf die Nase. Kann ja nichts schaden, wenn man bei der letzten Abfahrt auch noch was sieht...
Die Abfahrt nach Sölden
Nach etwa 400-500 Höhenmetern der Abfahrt kommt der allerletzte ernste Gegenanstieg auf der ganzen Strecke. Er ist mit 200 Höhenmetern geradezu lachhaft, jedenfalls im Vergleich zu den bereits erbrachten 5300 Höhenmetern zu diesem Zeitpunkt. Und dennoch sind es die absolut blödesten, fiesesten und verfluchtesten Höhenmeter der ganzen Runde. Die Beine protestieren, weil das Hirn unaufhörlich feuerte: "ab dem Pass nur noch runter, ab dem Pass nur noch runter, ...". Und dann doch wieder rauf. Das Kreuz schmerzt, die Beine sind ungelenk und "streiken" irgendwie, der Hintern schmerzt, alles in mir will jetzt nur noch "Feierabend" haben. Aber nichts da. In der prallen Sonne geht es wieder bergauf wie schon stundenlang heute an diesem Tag und wenn auch das Hirn genau weiß, es ist nicht lang und es ist nicht hoch: es ist vor allem GENUG JETZT !
Gegenanstieg nach dem Timmelsjoch: eine Qual, vor allem im Kopf
Auf den letzten Kilometern der Abfahrt wirds noch mal richtig steil und ich reiße mich zusammen, jetzt "bitte bitte keinen Fehler mehr zu machen". Ansonsten ist mir allerdings recht viel schon recht egal geworden. Zwar bremst die Vorsicht und der Verstand noch immer irgendwo "ganz weit hinten" mit, aber im Grunde gehts nur noch schnell und nur noch runter. Das ist das Einzige, was jetzt noch zählt. Ich seh auf meine Armbanduhr, die gleichzeitig auch der Pulsmesser ist. Ich schalte auf Stoppuhr und liege bei einer Zeit von 10:50h bis jetzt. Wenn ich also in wenigen Minuten die letzten Höhenmeter auch noch hinter mich bringe, dann schaffe ich es wenigstens unter 11 Stunden. Mann, das wird knapp. Verdammt knapp. "11 Stunden, HÄHÄÄÄÄ! - ich wollte unter 10 fahren, UNTER 10 ! - wollte ich. Egal jetzt. Weiter. Schneller. Fahr schneller..."
Und noch in der letzten Kehre vor Sölden reißt die Unfallserie hier nicht ab. Auch hier stehen noch "arme Schweine" auf dem Grünstreifen in der Kehre, mit ausgebautem Vorder- oder Hinterrrad und müssen ihren Ersatzschlauch montieren. Entweder einen Platten gerissen oder wegen Überhitzung der Felgen nen Platten in den Gummischlauch "gebrannt". (Noch werden keine Scheibenbremsen an den Rennrädern gefahren). "Also nicht zu viel bremsen" denke ich mir und "lass es !", wie Hannah immer sagt.
Und tatsächlich kriege ich noch so etwas wie einen Schlussspurt unten in Sölden hin. Die Hauptstrasse ist gesäumt von Zuschauern, noch zwei drei vier Radler sind vor mir auf dem Weg zur Zielgeraden, die 100 Meter vor der Ziellinie in einer engen 90°-Kurve über eine Brücke zum Sportzentrum führt. Dort ist das Ende. Also nehm ich den Hintern wie automatisch aus dem Sattel, geh in den Wiegetritt und überhole noch vor der Ziellinie 2 der Fahrer vor mir. FERTIG !
Noch halb höre ich die Zielansage der "Stadionsprecher". Weil dies aber eine Veranstaltung über die Landesgrenzen von Österreich und Italien hinweg ist, wechseln sie sich auch in der Sprache der Durchsagen ab. Bei mir ists dann irgendwas italienisches, was aber auch alles bedeuten könnte. Ich versteh rein garnichts, kann meinen durchgesagten Namen auch nicht ansatzweise erahnen und beuge mich erschöpft mit dem Rad zwischen den Beinen über den Lenker. Das Herz pumpt noch wie wild, die Beine und der Kopf sind schon angekommen, der Verstand kommt irgendwann auch noch nach. Ich bin leer, ausgepowert und trotz der Zeit sehr glücklich. Ich habe es geschafft. ICH habe es GESCHAFFT. Daran gibt es nun nichts mehr zu deuteln.
Es dauert länger, bis ich es fassen kann. Ich verbringe viel Zeit im Zielraum, setze mich auf den beengten Boden des Zielraumes, hol mir noch ne Cola aus der Verpflegungsstelle der "Finisher" und schau in die Sonne, schau in die Leute und schau auf mein Rad.
GESCHAFFT.
Nicht schneller als Markus oder Holger. Nicht unter 10 Stunden. "Egal jetzt". Geschafft. An diesem grandiosen Sommertag, unter blauem Himmel.
Mein Pfand für den Transponder (Sender am Knöchelgelenk, der die Durchfahrtszeiten per Funk weiter gibt) von 10 € bekomme ich gleich zurück, als ich das Teil den Helferinnen im Zielbereich übergebe. Davon werde ich mir - zusammen mit dem Gutschein für mein Finisher-T-shirt - mein Foto vom Fotoservice am Kühtai finanzieren. Auf dem Weg dort hin begegne ich zufällig Holger, der schon frisch geduscht und rasiert auf dem Weg zur Trikot-Ausgabe ist. Schon LANG im Ziel, reicht sogar schon fürs duschen. Wir verabreden uns für den Zielraum, denn er möchte dort auf seine Lebensgefährtin "Ki" warten, die auch bald "finishen" müßte. Also geh ich einen kleinen Umweg zu unserem Treffpunkt, und hol uns noch zwei Bier...
Epilog
Jetzt, nach drei Wochen, ist der Ötzi schon "verdammt lang her", wie BAP auch mal gesungen hat.
Es fällt mir schwer, mich für die Radrunden hier zu motivieren. Nicht, weil ich keine Lust auf Sport hätte, sondern weil im Vergleich zum Ötzi alles hier recht "fad" ist.
Im kommenden Jahr werde ich NICHT am Ötzi teilnehmen. Es gilt, sich wieder neue Ziele zu suchen und neue Herausforderungen zu finden. Der Ötzi ist "gemacht" und ich habe ihn zwei mal bestanden, 2006 und 2007.
Mögliche neue Ziele sind für mich der "Jungfraujoch-Marathon" in der Schweiz: In nächster Nähe zum Matterhorn wird die klassische Marathondistanz von 42km gelaufen und nach 21km geht es dann auch in den Anstieg von 2000 Höhenmetern auf das Jungfraujoch. Für diesen Laufmarathon muß man auch an einer Verlosung der Startplätze teilnehmen. Das tat ich 2005 und ergatterte tatsächlich eine Startnummer. Allerdings war das Ende des Winters; wenige Tage nach der Startnummerzuteilung erfuhren wir, dass auch Hannah sich auf den Weg ins Leben aufgemacht hatte und im Herbst (Termin des Jungfraujochmarathons) bei uns im Ziel einlaufen wollte. Also blieb die Rechnung mit dem Jungfraujoch noch offen.
Eine weitere Option wäre der "Alpen-Brevet" in der Schweiz. Ein Radrennen für jedermann, welches den ötzi noch um weitere 1000 Höhenmeter "topt": 250km Strecke und sage und schreibe 6500 Höhenmeter, natürlich an einem Tag und auf nicht gesperrten Strassen, d.h. zwischen dem normalen Autoverkehr hindurch. Wenn ich so in mich höre, dann reizt mich das im Moment noch am meisten, wie ich zugeben muß. Mal sehen, ob ich meine Familie überzeugen kann und ob es mir gelingt, Holger und Markus zu überreden.
Schließlich stünde schon lange auch mal wieder eine "richtige", mehrtägige Bergtour an, die in den letzten Jahren erheblich zu kurz gekommen ist.
Wie auch immer. Wenn ich mir den Bericht nun selbst so ansehe, dann fällt mir auf, dass sich die "Sinnfrage" diesmal nie gestellt hat. Das berühmt berüchtigte "was mach ich hier eigentlich ?" kam mir nie in den Sinn während dem Ötzi 2007. Nicht, dass ich einen "Sinn" erklären könnte. Definitiv macht es keinen "Sinn" und es erfüllt auch keinen Zweck. Ich bin auf keiner Flucht vor etwas und ich glaube nicht, mir etwas beweisen zu müssen. Ich hätte mir auch bewiesen, es nicht zu schaffen. Wäre ich an den entsprechenden Punkt gekommen - aus welchem Grund auch immer - dann hätte ich auch aufgegeben. Aber das war zu keinem Zeitpunkt der Fall.
Es hat mir über die Dauer von einem Jahr erheblichen Spass und Freude bereitet, mich punktgenau auf einen bestimmten Tag in die mir bestmögliche Form zu bringen und mein Material mit den mir gegebenen Möglichkeiten zu optimieren. Alleine deswegen hat es sich schon gelohnt. Es hat mir neben der Monotonie des Trainings in diesem Jahr erhebliche Freude bereitet, die Trainingsrunden zu fahren und akribisch jede Fahrminute und jeden Höhenmeter zu notieren und am Monatsende mit meinen Freunden zu vergleichen.
Mag es auch paradox klingen, aber diese Erlebnisse waren Selbstzweck, egoistisch und sinnfrei. Sie waren einfach klasse und haben mir ein hohes Maß an Lebensfreude und Motivation gegeben. Auch gerade dieses Jahr den Plan umzusetzen, auf keinen Fall stehen zu bleiben und anzuhalten. Trotz der Zeit von knapp 11 Stunden erfüllt mich das mit Freude und Stolz, der im Grunde genommen völlig sinn- und nutzfrei ist. Genauso gut kann ich mich freuen, die 123 Briefmarke der Serie XY gefunden zu haben, oder genauso stolz ist der "Pillendreher", wenn er seine Matschkugel den Erdhügel hinauf gewuchtet hat und sie auf der anderen Seite des Hügels wieder herunter rollt. Es ist völlig egal, es spielt in unser aller Leben überhaupt keine Rolle und es gibt verdammt viele Zeiten und Momente, die man und frau sinnvoller nutzen kann und vielleicht auch sinnvoller nutzen "sollte".
Doch die innere Betrachtung dieser Unternehmungen ist frei von Wertung und Begründung; sie hat einen inneren, maßstabsfreien Wert, der mir unbezahlbar ist. Die Fahrten waren beide "aller-oberst-genial" und die Anstrengungen und die Ausdauer gehören dazu wie das Wasser zum Regen und das Licht zur Sonne. Sie brauchen nicht erklärt werden.
Mein Rennrad in der Version "Ötzi 2007". Ein Sammelsurium unterschiedlichster Komponenten, Gewicht: 8,5kg.
Ich freue mich auf die nächste Herausforderung, was es auch sein mag... und werde auch hier wieder darüber berichten. Ich hoffe auch, diese Erfahrungen mit meinen beiden Freunden teilen und vergleichen zu können.
Denn ich krieg euch doch !
Schneller als Markus und Holger. Vielleicht am nächsten Pass, vielleicht auf der nächsten Tour.
Bestimmt, irgendwann.
Prost !
Der Ötztaler-Radmarathon ist ein Rennen für "Jedermann" rund um die Ötztaler Alpen und bei den Hobbyfahrern eines der angesehensten Rennen in Europa.
Die Strecke hat eine Länge von etwa 238km und einen Höhenunterschied von 5500hm (nur Steigungen gerechnet). Für dieses Rennen stehen 4000 Startplätze zur Verfügung, die über die Homepage des Veranstalters an einem bestimmten, vorher nicht bekannten Tag im Februar gebucht werden können. Für das Rennen 2007 hatten sich etwa 20.000 Fahrer "beworben". Von den 4000 Startern "finishten" etwa 3700. Der Italiener Emanuele Negrini gewann in einer Zeit von 7:03 Stunden.
Bild: der Streckenverlauf des Ötztaler Radmarathons:
Sölden - Ötz - Kühtai - Kematen - Innsbruck - Brenner - Sterzing - Jaufenpass - St.Leonhardt - Timmelsjoch - Sölden
Diesmal sollte alles anders werden als letztes Jahr: ich war extrem gut vorbereitet (seit dem 01.01.2007 bis zum Ötzi etwa 6000km und 50.000hm Training auf dem Rad gefahren) und hatte auch den Tag des Ötzi 2007 selbst bis ins Detail geplant: 4:45 Uhr aufstehen, duschen, zum Frühstück unter anderem einen Teller Spaghetti essen, sich um kurz vor 6:00 Uhr zum Start aufstellen, alles kein Problem. Überhaupt kam das Problem erst am Timmelsjoch. Bei mir jedenfalls.
Zum Start um 6:30 Uhr war perfektes Wetter: 9 Stunden Sonnenschein wurden gemeldet, Temperaturen in Sölden um 23-24°C, besser kanns nicht sein. Nicht wie im Vorjahr, als es in der Nacht zuvor noch höllisch geregnet hatte. Dementsprechend fiel auch die Kleiderwahl aus: 3/4 Hose, ein Trikot, Weste, Armlinge und ab dafür.
Die Startvorbereitung im Zielraum war weniger hektisch wie letztes Jahr und Markus musste nur einmal raus zum pinkeln. Um eine äußerst attraktive Blonde mit langem Zopf unter ihrem Sturzhelm war durch ausreichenden Respektabstand genügend Platz für uns gelassen worden, daher nervten die paar Idioten auch nicht besonders, die wenige Minuten vor dem Start "nur noch schnell" komplett mit Rad mal quer durch die Menge und nur noch schnell da und dort... "herrje, gut JETZT! ".
Etwa 5 Minuten vor dem Start knallt es plötzlich heftig unmittelbar neben uns. Kurze Irritationsphase, und dann kristallisiert sich aus der Aufregung und dem hektischen Treiben um uns herum der arme Tropf heraus, dem Minuten vor dem Start gleich mal der Vorderreifen geplatzt ist... einfach so. Zu viel Druck drinnen, aber vielleicht lieber hier geplatzt als später auf der Strecke.
Um 6:30 Uhr dann der Startschuss , der wie letztes Jahr in den hinteren Reihen satte 10min ohne Wirkung bleibt. So lange braucht das Feld der 4000 Teilnehmer, um bis nach uns hinten in Schwung zu kommen. Noch ein letztes "shake hands" mit Markus, Pedale klicken um uns herum und nach noch einer kurzen Verzögerung gehts dann endlich los. Die Menge um uns klatscht und applaudiert und ich fühle mich großartig. "Heut kann der Ötzi kommen", alles in perfekter Verfassung und ich mitten drinn unter blauem Himmel zwischen 4000 anderen Radsportlern und den herrlichen Bergen.
Die Abfahrt nach Ötz verläuft für mich wenig spektakulär und recht zügig. Ich habe mir vorher (mit Hilfe von Holgers HACK-DATEN von 2006) eine Tabelle mit den Durchfahrtszeiten der verschiedenen Streckenpunkte errechnet und mir in Minimalform auf den Lenkervorbau geklebt, damit ich die Zeiten nicht vergesse (denn irgendwann vergisst man beim Ötzi ALLES). Für die 32km Abfahrt habe ich mir 43 Minuten gegeben und erledige sie tatsächlich in 49min.
Irgendwo in der Abfahrt bremst das ganze Feld vor mir plötzlich ab und drückt sich an einem Sanitäterauto vorbei: 2 Kollegen sitzen neben ihren Rädern im Graben und müssen offensichtlich versorgt werden. Überhaupt wird die Strecke diesmal auffallend oft von Teilnehmern umrandet, die stehen geblieben sind, die nen Platten haben, die verunfallen oder sonst welche Ausfälle zur Pause oder Aufgabe zwingt.
Neben meiner Zeittabelle lege ich mir also im Kopf verschiedene Ziele fest:
Ziel 1: Start erfolgreich absolvieren = geschafft.
Ziel 2: ohne Unfall Ötz erreichen = geschafft.
usw.
Die GORE-Weste leistet erstaunlich gute Arbeit und ich bin schnell auf "Betriebstemperatur" bei der Abfahrt. Ich versuche die Balance aus "nicht zu viel riskieren" und "nicht der langsamste werden" und bin sehr zufrieden damit. Zwar werde ich immer wieder von Heeren anderer Teilnehmer in den unmöglichsten Streckenabschitten überholt, doch nie verliere ich den sonst wesentlich schnelleren Markus aus den Augen. Daher passt alles, auch wenn sich der Hintern an diesem Morgen erst noch an den Sattel gewöhnen muss.
der Abzweig in Ötz hinauf zum Kühtai mit seinen 1200hm Differenz stellt ein weiteres Ziel im Kopf dar und ich durchfahre es ganz euphorisch: letztes Jahr stand ich neben den vielen anderen hier in der Kurve und hab an meiner Jacke und der Weste rumgezettelt, heuer nicht: dank des Wetters und der Ausrüstung gleich ab durch die Kurve, runterschalten, und "weg da !". Allerdings bleibt das "weg da" ein frommer Wunsch, denn wie letztes Jahr verrammelt der Rückstau der Auffahrt ein schnelles pedalieren in den ersten Anstieg, der mit seinen maximalen 17,5% Steigung droht.
Eine weitere Strategie , die ich mir dieses Jahr zurecht gelegt hatte lautete: "trinke den Berg klein !" - Damit wollte ich in einem frei bestimmbaren Intervall regelmäßig einige Züge aus der Flasche trinken, und somit zum einen den regelmäßigen Flüssigkeitsbedarf decken und zum anderen nicht auf Kilometer und Höhenmeter schielen, sondern Landschaft genießen (bewußt genießen um im positiven Denken zu bleiben: "ach die schönen Bäume, geiles Tal, hier mal wandern gehn, usw") und mich von Trinkzeit zu Trinkzeit fahren. Ich wählte einen Intervall von 10min für das Kühtai, kurbelte mich zwischen all den anderen Teilnehmern regelrecht in Laune, behielt nur meine Uhr im engeren Blickfeld und war schneller auf dem Kühtai oben, als ich dachte. Nur die 17,5% Steigung waren mit meiner 27er-34er Übersetzung nicht zu leugnen. Allerdings nervte mich da mehr das Knarzen in meinen Radschuhen (kein Witz: steife Sohle aus Kunststoff "knarrzt" tatsächlich - bei jeder Kurbelumdrehung, was echt nerven kann) als die Steigung. 1 Stunde und 25 Minuten benötige ich bis oben, 1:22h hatte ich eingeplant.
Leider spielten sie oben am Kühtai diesmal kein "AC / DC" sondern nur "Red Hot Chilli Peppers" und kurz vor der Labe dudelte sogar noch einer auf seiner Zieharmonika. "Arrrrgh, weg da, Platz machen, aufd Seite jetzt!" denke ich mir, halte kaum an, bleib auf dem Rad um meine Flasche wieder zu füllen, stopf mir noch extrem schnell ne halbe Banane rein und bin gleich wieder weg. Ziel fast erreicht: Pausenzeit von unter 1min. Ab und weg, die geniale Höllenabfahrt runter nach Kematen.
Bild: die Auffahrt zum Kühtai ist geschafft. 2h 13min seit dem Startschuß in Ötz, 51km und 1200 Höhenmeter.
Und wieder gilt es auf dem genialen Abflug runter nach Kematen die ideale Linie zwischen Vernunft und Wahnsinn zu finden, zwischen Spaß und Ernst. Und während ich mich mit zunehmender Begeisterung durch die Kurven schwinge, gehen mir verschiedene Gedanken durch den Kopf: "hast 2 Kinder daheim, also fahr langsam" und "wenn du kein Risiko eingehen wolltest, hättest du daheim bleiben müssen. Das Risiko fing an, als Du dich angemeldet hast. Also Klappe halten und Gas geben...". Im Vergleich zu letztem Jahr machen mir auch die Abfahrten dieses Jahr richtig Spaß. Es ist ideales Wetter, blauer Himmel, zur RICHTiGEN Zeit am RICHTIGEN Ort. Alles funktioniert perfekt am Rad und an mir, also kein Grund zur übertriebenen Vorsicht.
Oft laß ich es einfach laufen, aber an einigen Stellen zieht die Angst dann doch die Bremshebel vorsichtig zu: bei unübersichtlichen Kurven, extremen Gefälle oder einfach zu hoher Geschwindigkeit. Von Zeit zu Zeit stehen Zuschauer am Strassenrand und klatschen uns zu, oft werde ich überholt, manchmal überhole ich auch welche, die noch vorsichtiger sind als ich. Als ich schließlich unten ankomme, zeigt mein Tacho bei der maximalen Geschwindigkeit irgendwas mit 70 Sachen an. Das ist recht flott, aber nichts Besonderes. Das hab ich hier auf meinen Trainingsrunden in der Fränkischen auch schon oft erreicht.
Viel später, nach dem Rennen, im Hotelzimmer meint Markus dann zu mir, das sein Tacho bei der Abfahrt nach Kematen bei einer Geschwindigkeit von 99km/h "abgeregelt hat", weil er einfach keine 3 Ziffern anzeigen kann. Also war ich nicht wirklich "schnell", aber es hat gereicht. Ich fands toll, und unten angekommen bin ich auch - ohne Panne und ohne Verletzungen, was heute nicht selbstverständlich bleiben sollte...
Die Fahrt nach Innsbruck verlief sehr schnell und extrem unspektakulär. Lediglich die Muskeln kühlen bei der Abfahrt etwas ab, und nach all der Anstrengung VORHER das Kühtai hinauf bremst das zu erst etwas, wird dann in der Ebene im Pulk mit all den anderen Mitstreitern schnell wieder besser.
An jeder Kreuzung stoppen Helfer und Polizei den Verkehr, heute haben die Radler absolute Vorfahrt. Mit 40-45km/h in der Ebene geht es schnell nach Innsbruck rein und auch gleich wieder raus und die alte Brennerstrasse hinauf zum Brennerpaß.
Jeder von uns drei hat hier am Brenner letztes Jahr seine Fehler gemacht, geht es doch knapp 40km lang beständig bergauf und erst am Schluss mal eben mit 12% Steigung. Hier braucht man die "richtige" schnelle Gruppe, die einem den Windschatten bringt. Natürlich geht mir durch den Kopf, dass dies quasi die "Erholung" der Pässe sein wird, da am wenigsten steil. Und so gleich werden die Beine schwer, den auch 5,6 und 7% wollen gekurbelt werden und sind keine Erholung im eigentlichen Sinne.
Auf der Suche nach der "richtigen" Gruppe überhole ich etliche Fahrer, komme langsam in ein Tempo zwischen 20 und 25km/h und habe auf einmal Markus vor- und neben mir. Sofort beginnt der "Psychokrieg" des unauffälligen nebeneinander her fahren und doch einen Vorsprung heraus holen. Mal ist Markus vor mir und schnell vier und fünf Fahrer zwischen uns, mal ich. Erst nach einigem hin und her gelingt mir der Anschluss an eine wirklich schnelle Gruppe, Markus bleibt hinter mir und ich bin weg. Ein psychologisch "wichtiger Sieg für mich", denke ich mir, und versuche mir den Abstand zu Markus vorzustellen und auszubauen. Als mache Fahrer der Gruppe zu schnell für mich werden, lasse ich abreißen, bleibe aber im Pulk der Schnelleren, und fühl mich sau-wohl. Den Trinkintervall hab ich hier am Brenner auf 15 Minuten gesetzt, im Zeitplan bin ich auch wieder seit Innsbruck, und so kurbel ich mich den Brenner herauf.
Wir passieren Hinweistafeln, auf denen steht nur noch "5km bis zum Brennersee", und ich rechne schnell durch, wie viele Minuten ich noch bis oben brauche. Bei einer Ortsdurchfahrt wird es plötzlich unvermittelt eng, als ein Reisebus auf der schmalen Gegenfahrbahn auftaucht. Die Gruppe vor mir bremst abrupt ab, was in einer Meute bei 25km/h und wenigen Zentimetern zwischen den Reifen zum Vordermann verdammt plötzlich erscheint. Wie eine Schockwelle setzt sich das unvermittelte Bremsmanöver nach hinten durch, und ich höre hinter mir nur noch einen unvollendeten Fluch und dann das unheilvolle Scheppern der Radler hinter mir. Sie sind kollidiert und gestürzt, noch BEVOR der Bus bei ihnen gewesen ist. Direkt nach mir reißt die Kleingruppe ab und es kommen mal erst nur wenige nach..., aber wie immer bei diesem Rennen: "ja, man kann stürzen, - ja, es kann etwas passieren, - nein, ich nicht, also WEITER und weg...
Noch vor Markus bin ich auf dem Brenner oben, fast im Zeitplan (nur 4 Minuten über meinem Soll). Hier ist die zweite Labe eingerichtet und die Ausgabe von Kuchen, Bananen, Broten, Cola, Red Bull, Wasser, Iso-star, Zitronen und was weiß ich im vollen Gang. Ich pinkel nur schnell am Rand in die Wiese, schnapp mir eine halbe Banane, fülle meine Flasche mit "irgendwas" und "hopp" rauf aufs Rad und weg. Nur schnell weiter, jede Verpflegung ist Unterbrechung und "stört" irgendwie. Ich fühl mich etwas müde und gebraucht, bin aber noch allerbester Dinge und das Wetter ist tadellos. Erholen und stärken will ich mich bei der Abfahrt nach Sterzing.
Also Kette auf das große Blatt und ab dafür. Kragen der genialen Weste hoch, Armlinge runter und rein in den Windschatten der Vorfahrenden. Mehr wie 70 km/h werden es auch hier nicht, aber das macht nichts.
Auch bei dieser Abfahrt überholen mich einige Fahrer, aber die 120km seit dem Start und die zwei Versorgungsstationen haben das Feld doch schon ordentlich ausgedünnt, und so habe ich viel Platz auf der Fahrt runter nach Sterzing. Wieder komme ich an Plätzen vorbei, die ich hier schon mit Holger und Markus auf unseren genialen Alpenüberquerungen per Mountain-Bike passiert haben, aber das tangiert mich heute nicht. Ich habe nur meine Tabelle im Kopf und sehe die Zeit verstreichen, freue mich über unverhofft eingesparte Minuten und ärgere mich über jede Minute, die ich über dem SOLL liege. Überhaupt gelingt es mir heute, mental das Rennen als EINE große Strecke zu betrachten und nicht als viele Teilabschnitte zwischen den Laben. Ich hab mein Ziel vor Augen: unter 10 Stunden, und wenn auch das inzwischen schon nciht mehr recht realistisch scheint, so ist eine Zeit von knapp über 10h doch in greifbarer Nähe. Also bin ich bestens gelaunt und motiviert, freue mich an der Abfahrt und der Geschwindigkeit (wieder was mit 70km/h) und überlege so heimlich in mich hinein, wie viel ich eigentlich bereits gegessen habe: erschreckend wenig. Zwar hab ich 4 Powerriegel dabei, aber wenn ich kann vermeide ich die süße Pampe, auch wenn sie Energie gibt. Am Kühtai halbe Banane geschluckt, am Brenner auch halbe Banane und sonst nichts weiter. Hmmm. Aber irgendwie keinen Hunger, auch keine Lust was zu essen. Geht so auch. Muß so auch gehn...
Die Auffahrt auf den Jaufenpass ist bekannt unter den Ötzi-Fahrern. Sie gilt als nicht besonders schwer, hat etwa 1000 Höhenmeter Unterschied auf etwa 22km zu bieten und zeichnet sich von Sterzing kommend durch eine recht kontinuierliche Steigung von durchschnittlich etwa 7% aus. Die Passstrasse führt schnell in den Wald, dort durch zahlreiche Serpentinen und dann ein gutes Stück in der baumfreien Zone bis hinauf zum Pass.
Als ich hier letztes Jahr zum ersten mal hinauf pedalierte, da empfand ich die Gleichmäßigkeit schnell als eintönig, mein Fuß schmerzte unbegreiflicher Weise erheblich im Schuh und ich pausierte oberhalb der Baumgrenze, was absolut nichts einbrachte. Dieses Jahr wollte ich dem entgehen und stellte mich also auf einen monotonen Anstieg ein. Ich versuchte krampfhaft, mein positives Denken aufrecht zu erhalten ("hey, tolle Aussicht", "SEHR schöner Wald", "geil wieder eine Kehre", "ahhh, keine Autos, die ganze Strasse heute nur für uns Radler") und ich zwang mich wieder in einen Trinkintervall von 10min.
Nach zwei Drittel des Anstieges begann zwar wieder mein Fuß zu schmerzen ("???") - wofür ich auch diesmal keine Erklärung finden kann - zumal ich meine Radlschuhe extra mit den Einlegesohlen meiner Joggingschuhe "frisiert" habe - aber ich verscheuchte schnell jeden Gedanken an ein "bleib halt mal stehen, halte einfach mal an" und kurbelte stoisch weiter bergauf. Das Wetter blieb fantastisch, nur einige wenige Schleierwolken am blauen Himmel, die recht dankbar die pralle Sonne im Zaun hielten.
Kurz vor den letzten Kehren und schon in Sichtweite des Passes und der nächsten Pause zog völlig überraschend Markus an mir vorbei, den ich weit am Brenner hinter mir gelassen hatte. Hier am Jaufenpass hatte ich ihm keine Chance eingeräumt, mich einzuholen. Zu oft hatte er bei langen Anstiegen mit seinen undefinierbaren Beinkrämpfen zu tun, und oft schon war ich an Steigungen schneller als er. Sein PLUS sind die Abfahrten, mein PLUS die Steigungen. Und dann das: locker flockig vorbei mit einem "ahh schau an, der Bernd" und schnell noch meinen Sattel mit der rechten Hand angeschoben, als würde ich es alleine nicht schaffen.
"Ja leck doch mich am---", weiter reichte meine Energie kurz unterhalb des Passes nicht mehr. Mir war zwar bewusst, das auch Markus hier im "roten Bereich" die Pedale trat, gerade um schnell und cool zu sein und mich psychisch am Jaufenpass zu besiegen. Ein strategisch extrem guter Zeitpunkt, geht es doch gleich danach ins Timmelsjoch, der Kür der Kür. Kurz überlegte ich noch, ihm nachzusetzen und gnadenlos niederzurennen, um erster von uns beiden am Pass oben zu sein. Aus unseren Trainingsfahrten letztes Jahr und dem Arber Radmarathon 2006 kennen wir beide solche Situationen nur zu gut. Jeder verfolgt den anderen, auch wenn die Oberschenkel brennen, das Herz rast und der Puls zu explodieren scheint. Die Lunge brennt, der Kopf denkt: "nur noch die Umdrehung, nur noch die eine, nur noch die" und "er kann auch nicht mehr, ihm tuts auch weh, gleich gibt er auf, gleich lässt er es sein, bleib drann bleib drann nur noch eine weitere Umdrehung, gib nicht auf..." usw. Auf diese Art und Weise fuhren wir 2006 am Ende des Arber Radmarathons, nach 240km und 3500hm in einer Gruppe von 30-40 Rennradlern die letzten 10km in der Ebene auf Regensburg zu. An der Spitze der Gruppe muss man die meiste Arbeit machen, denn der Luftwiderstand muss gebrochen werden, während alle nachkommenden Radler zwar genau so schnell sind, aber deutlich weniger leisten müssen, als der Erste. Als wir dann an der Reihe waren, übernahmen wir die Gruppe bei etwa 35km/h und traten weiter und weiter und weiter. Plötzlich riefen sie von weit hinter uns. Wir hatten als Führende die Gruppe gesprengt und waren auf über 42km/h im Schnitt davon gefahren. Genau daran musste ich kurz denken, als ich zögerte, Markus nachzusetzen und am Jaufenpass moralisch den Garaus zu machen. Schließlich hatte ich geführt, vor Regensburg, letztes Jahr... aber ich verwerfe den Gedanken und lasse Markus ziehen. Ersten habe ich den Pass gleich erreicht, zweitens hat sein Plan funktioniert und ich bin völlig perplex und frustriert und drittens fühle ich meine Energie schwinden und denken mit Angst an das noch bevorstehende Timmelsjoch. Jetzt auf "Teufel-komm-raus" zur Passhöhe zu spurten und die Beine schwer zu fahren würde keinen Sinn ergeben und mich am Timmelsjoch zerschmettern. Vielleicht auch das die Absicht von Markus ? - will er mich aufs Glatteis führen und mich mit meinem eigenen Ehrgeiz schlagen. "Nix da, Klappe halten, weiter kurbeln. Laß ihn ziehen, geht eh nicht anders, is eh schon weg. Soll er doch. Scheißdreck aber auch, verdammt noch mal. Kann doch nicht wahr sein. Gibts doch nicht. Scheiße. Leck mich..."
Etwa 5 Minuten später bin ich erschöpft oben am Pass angekommen, habe wieder keinen Hunger, mag nichts essen außer einem Stück Apfel. Als ich versuche, etwas "Red Bull" zu trinken um Energie in mich rein zu pumpen, muss ich fast speien. Das zeug schmeckt höchst eklig, ich schmeiße es weg und fahre gleich weiter. Weste zu, Armlinge runter und ab nach St.Leonhardt. 21km bergab und 1300hm Sturzflug. Für manche im wahrsten Sinne des Wortes, wie sich später zeigen sollte...
Bild: oben am Jaufenpass angekommen... endlich ! 6h und 30min seit dem Start, 160km und etwa 3200 Höhenmeter.
Irgendwie vertrödel ich dann doch ein paar Minuten oben am Jaufenpass. Mit NULL nachgeführter Energie geht es in den "downhill" runter nach St.Leonhardt. Noch vom letzten Jahr her kenne ich die Abfahrt. Sie ist lang, ewig lang. Sie zieht sich durch viele Kehren, vor denen man immer gnadenlos die angesammelte Geschwindigkeit runterbremsen muß. Heute ist die Strasse trocken und die Luft warm, man sieht weit hinunter ins Tal. Bei der Abfahrt braucht man kaum zu treten, ausser wenn man aus den Kehren heraus beschleunigt. Bei meiner Übersetzung am Rennrad kann ich etwa angenehm bis 50km/h treten, ab dann rollt es sich schneller als ich kurbeln kann. S-Kurve folgt auf S-Kurve, und wie weit ich die Strecke einsehen kann entscheidet, wie schnell ich fahre. Und je länger die Abfahrt dauert, desto mehr komme ich in Schwung. Es macht ungemein Spass, die Strasse in ihrer ganzen Breite zu nutzen und erst im letzten Moment die Bremsen beißen zu lassen. Mehr und mehr geht es an den Punkt im Inneren, bei dem die innere Stimme sagt: "aber übertreib es nicht !". Zudem gibt es auf der Passtrasse viele Rillen, die längs zur Fahrtrichtung im Asphalt verlaufen. Wenn man hier mit 70km/h auf 11-12mm breiten Gummireifen in solche Längsrillen gerät, dann... lieber nicht. Also ist die Abfahrt auch ein Tanz zwischen den Rillen, mit der Uhr und dem Verstand.
Als ich schon beinahe in St-Leonhardt angekommen bin, geht es wieder durch einige S-Kurven auf eine Spitzkehre zu. Des öfteren haben mich einige Fahrer auf der Abfahrt überholt. Da die Fahrtgeräusche während der Abfahrt doch ganz erheblich sind, bekommt man von den überholenden Fahrern wenig mit. Sie tauchen an den merkwürdigsten Stellen des Passes aus dem "Nichts" auf und donnern regelrecht an einem vorbei. Als gäbe es kein morgen. Wenn ich meinerseits Fahrer überhole (auch das gibt es), dann warte ich doch wenigstens einen Streckenabschnitt ab, der so einigermaßen so aussieht, als könnte ich ungefährdet den Vordemann überholen und dann auch noch rechtzeitig vor der nächsten Kurve auch wieder abbremsen. Doch mit dieser Auffassung fahr ich manchmal recht alleine nach St.Leonhardt hinab...
Kurz vor einer der letzten Spitzkehren der Abfahrt, am Beginn des Ortes - ich habe schon stark vor der Spitzkehre abgebremst - höre ich hinter mir das Pfeifen einer Bremse, dann das kurze quitschen der Reifen, welches abrupt vom Klang "Metall auf Metall" abgelöst wird: ein Mitstreiter hat sich in der S-Kurve verschätzt oder verbremst, bremste noch mit blockierenden Rädern und knallte dann auf die Leitplanken der Fahrbahn. Als ich erschrocken nach hinten sehe, erkenne ich nur noch das Beinpaar, wie es über die Leitplanken abtaucht. Hat der Typ Glück gehabt: gerade an der Stelle der Abfahrt liegt ein grün bewachsenes Steilstück neben der Strasse und der Typ landet relativ weich im Gras... .
Kurz vor der Spitzkehre bremst mich ein Polizist per Handzeichen ab und mahnt zur Vorsicht, weil ein anderer Mitstreiter zu Fuß auf der Fahrbahn unterwegs ist, um verlorene Teile seiner Ausrüstung wieder einzusammeln. Keine Ahnung, ob er sie so einfach verloren hat, oder auch "gecrasht" ist. Später, beim "Bier danach" erzählt Holger, das bei ihm (als er etwa eine 3/4 Stunde eher hier durchgekommen ist) ein anderer Mitstreiter sich in der Spitzkehre verbremste und statt um die 180°-Kurve grad aus in die Steinmauer gekracht ist...
Unten angeommen in St.Leonhardt schmerzen mir die Handgelenke vom bremsen und die Schultern von der angestrengten Haltung auf dem Rad. "Scheiße, letztes Jahr ging das besser" denke ich mir, und "wärst halt öfter klettern gegangen, dann hättest du diese Muskeln auch mal trainiert. Aber nee, immer nur auf dem Bock gesessen... selbst schuld."
doch immerhin bin ich angekommen unten, weit vor dem Zeitlimit und 2 Stunden schneller als letztes Jahr. Ich bin zufrieden mit mir, fahr rechts rann und packe ein Powerbar aus, der mir Energie geben soll. Zwar ekelt es mich vor der süßen Pampe, aber ab hier geht es sofort und ohne Pause in den 30km-Anstieg zum Timmelsjoch hinauf. Energie muß in mich hinein, koste es, was es wolle. Rein damit. Ich zwinge mir den ganzen Riegel in den Mund, spüle mit Wasser kräftig nach, damit das Zeug schneller im Magen landet und klick auch schon wieder in die Pedale. Unter einer Minute für die Pause, ab und weiter. Die Temperatur am Tacho zeigt etwa 32°C, die Sonne scheint vom fast wolkenlosen Himmel und ich spüre, wie ich nicht bereit bin für die Kür der Kür, die Creme der Creme, den eigentlichen Zweck des Unternehmens: den Abschluß am Timmelsjoch !
Die Auffahrt zum Timmelsjoch ist das, worum es hier eigentlich vom Start weg geht. Sie zieht sich etwa über 32km und hat eine Höhendifferenz von 1700Meter. die Steigung schwankt zwischen einem Flachstück nach 2/3 des Anstieges von etwa 1-2% und an vielen Stellen 11-12%, dazu sehr unregelmäßig. Wie oft, wenn ich in den Nächten vor dem Rennen nicht schlafen konnte habe ich mir dieses Stück vorgestellt. Bis hier hin wollte ich mich schonen um dann hier mein Letztes zu geben. Von der Popgruppe "BAP" gab es mal ein geniales Lied, als es die DDR noch gab und sie eine Tournee planten und dann nicht dort spielen durften: "Und deshalb spieln mer hee (hier)! " - genau DAS ist es. Deshalb spielen wir hier: wegen dem Timmelsjoch. Es ist nicht das Hindernis zwischen mir und dem Ziel, es ist der Grund, weswegen der Ötzi diese Aura und diese Anziehungskraft hat: nach bereits absolvierten 180 Kilometern und 3500 Höhenmetern kommt dieses Monstrum erst noch. Fängt erst an. Hier und jetzt. Und ich fühl mich wie ausgekotzt und ausgeschissen. Leer gepumpt und flach im Wind. Zwar gibt der Powerbar noch mal kurz Energie, aber mir wird in meinem Nebel von Anstrengung und Schweißperlen auf der Stirn und in den Augen langsam klar, dass ich die Energie vergessen habe: zu wenig aufgefüttert, zu wenig gegessen. Zwar auf das Trinken geachtet, aber jetzt mit leeren Akkus am Start. UNTEN am Start, am Beginn des einzig wahren Passes, der echten Prüfung. Da komm ich mit leeren Taschen daher.
"Egal, macht nix. Fahr weiter" denke ich mir und schwindel mich die ersten Steigungen hinauf. Es ist sommerlich warm, die Beine sind angespannt, fast schon verkrampft und ich fahr mit der gleichen Geschwindigkeit wie die anderen in die Steigungen hinein. Doch bald schon legen die "anderen" einen Abstand zwischen sich und mir, und ich folge wieder nicht. Vielmehr spüre ich das starke innere Bedürfnis, in einem festen, sich nicht verändernden Rhythmus den Anstieg zu bewältigen. Dafür gibt es nur ein Wort: stoisch ! - mit dem Schweiß fließt auch JEDER Elan aus mir heraus, mir wird alles egal um mich herum, und zwar sehr SCHNELL. Es gibt nur noch mich und die Steigung und die Geschwindigkeitsanzeige. Sie tanzt immer zwischen lächerlichen 6,5 und 8km/h, je nach Steigung. Mir ist zum kotzen schlecht, aber wie durch ein Wunder DENKE ich nicht daran, anzuhalten oder aufzuhören. Ich wünsche mir nicht das anhalten, auch wenn ich damit kämpfe. Ich WILL nicht anhalten, um keinen Preis. Überhaupt höre ich auf zu denken. Es gibt nichts mehr zu denken, es ist alles gedacht an diesem Punkt. Die Kraft ist draußen, die Energie in mir scheints verbrannt und der Elan gestorben. Also kurbel ich. Mit knarzenden Schuhsohlen und schleichendem Tempo. Umdrehung für Umdrehung. Steigung um Steigung. Kehre um Kehre. An nichts mehr denken, nur noch: "Halts Maul und trete". Stundenlang. Bis zur Passhöhe werde ich geschlagene 3:15h benötigen. Doch jetzt bin ich noch sehr viel weiter unten, sehr viel weiter. Ganz unten.
Es dauert endlos lange, bis ich endlich die erste Verpflegungsstelle am Timmelsjoch erreiche. Ich wünsche sie mir herbei, ich ersehne sie hinter jeder Kurve, aber ich weiß vom Vorjahr, dass es länger dauert als gedacht, bis man wirklich dort oben ist. Inzwischen bleiben doch so einige Mitstreiter am Wegesrand stehen, vor allem die Tunnels bieten erholsame Abkühlung. Auch die Bergbächlein am Strassenrand sind willkommene Erfrischungen. Natürlich denke ich auch daran, anzuhalten, aber ich tu es nicht. Wahrscheinlich hätte es meine Zeit verbessert, wenn ich es getan hätte, aber mein letzter Trumpf ist mein Wille: es wird nicht angehalten, unter keinen Umständen und zu keinem Preis. "Fahrn oder umfallen" denke ich mir, aber in Wirklichkeit ist das gleichmäßige Treten noch immer das Beste von allem. Es ist besser, als wieder anfahren zu müssen. Es ist besser, als all die anderen weiterfahren zu sehen, wenn man selbst angehalten hat. Das stetige kurbeln ist überhaupt das einzig erträgliche. Inzwischen geben nicht mehr meine Beine die Geschwindigkeit vor, sondern der Drang zum Speien. Ich fühle genau den haarfeinen Unterschied zwischen "geht noch" und "zu schnell". Also kurbel ich noch langsamer, aber ich kurbel. Nichts wird mich aufhalten. Ich fahr weiter. Umdrehung für Umdrehung. Die Strasse seh ich nicht mehr hinauf. Ich schaue viel mehr neben mich oder auf den Tacho oder auf meine Beine. Irgendwann bin ich an der ersten Labe. Ich stelle das Rad ab, denke an Brot und Red Bull zwecks Energie und muß schon bei dem Gedanken fast kotzen. Also hol ich mir ein Stück Apfel und ein großen Becher Cola und setz mich in die Sonne am Strassenrand, neben die anderen. Unzählige Bikes stehen hier und jeder kennt noch die weiteren 800 Höhenmeter, bis man den Pass oben ist. "Mir egal". Mein Lieblingsgedanke, inzwischen. Es gibt nichts zu reden mit den anderen, es gibt nichts zu lösen. Nichts kann die Situation verändern oder beenden. Nur weiterkurbeln. Also dauert es nicht lange (auf die Uhr sehe ich auch inzwischen nicht mehr) und ich sitz wieder im Sattel. Kurbel weiter. Weiter. Immer weiter. "Mir egal". Weiter. Noch weiter. "Mir egal". Es kommen die Serpentinen im oberen Stück, wieder mit 11-12%. Die Beine sind bedrohlich nahe am krampfen. "Mir egal". Weiter. Zwar überholen mich etliche andere, aber die Zahl der "Geher" und "Steher" nimmt beständig zu hier oben. Es wird spürbar kälter, und bald kann ich die letzten Kehren vor dem Tunnel oben am Pass ausmachen. Ich trete immer weiter, nicht schnell, nicht beflügelt von dem bevorstehenden Ende des Passes, aber ich kurbel. Es gibt kein stehen bleiben und kein aufhören. "Weiterfahrn". "Fahr weiter". "Weiter."
Bild: Nach 212 Kilometern und 5300 Höhenmetern in 10 Stunden und 15 Minuten oben am Timmelsjoch. Holger ist zu der Zeit schon unten im Ziel, seit einer halben Stunde...
Im Grunde ist der Pass oben am Timmelsjoch das letzte Hindernis des Rennens. Während der ganzen Fahrt, während der Tage und Wochen vor dem Start kreisen die Gedanken um diese Anhöhe, diesen magischen Punkt. Ab hier hat man es geschafft. Ab hier ist man am Ziel, im Grunde. Es gibt keine wesentlich Steigung mehr, nur noch ein "kleiner" allerletzter Gegenanstieg an der Mautstelle des Passes mit 200 Höhenmetern und der Rest besteht aus Abfahrt runter nach Sölden, dem Start und dem Ziel des Rennens.
Während dem Training und der mentalen Vorbereitung habe ich mich in Gedanken hier oben gesehen: das Letzte geben im Zweikampf mit der Uhr und am besten im Zweikampf mit Holger und Markus. Unnachgiebig die endlose Steigung hochkurbeln und dann oben, am Pass, in den so genannten Wiegetritt gehen, bei dem mann auf den Pedalen steht, den Oberkörper weit über die Kurbel beugt und mit aller Wucht die Kraft auf die Strasse bringt. Für kurze Zeit bringt das einen ordentlichen Schub, ein Geschwindigkeitssprung, der sich direkt in der Erhöhung der Pulsfrequenz ablesen läßt. Je nach Training kann man den Wiegetritt unterschiedlich lange durchziehen, aber meist sind es einige wenige Minuten. Mit diesem Spurt wollte ich oben am Pass dem Rennen und meiner Leistung die Krone aufsetzen - in der Vorstellung. Tatsächlich ist es fast 17:00 Uhr, als ich im monotonen Treten ganz ganz ganz oben angekommen bin. Einige Fahrer halten hier an und genießen diesen sehr speziellen Punkt im Rennen, den höchsten Punkt der Strecke und den Gipfel der persönlichen Leistungs- und Leidensfähigkeit. Das hätte ich auch gewollt, wäre da in den letzten drei Stunden noch was "gegangen". So aber fühle ich mich vor allem leer und ausdruckslos. Von Wiegetritt und angespannten Muskeln in der letzten Beschleunigung kann gar keine Rede sein. Nicht im Entferntesten. Und es ist mir auch scheiß-egal geworden. So weit reichten die verbliebenen Synapsen im Hirn noch, um mir auszurechnen, dass ich (fast) alle meine Ziele NICHT erreicht hatte: unter 10 Stunden fahren und schneller als Holger oder Markus sein. Einzig schneller als letztes Jahr könnte ich noch werden, und sturzfrei ankommen könnte ich auch noch. "Mir egal." Da isses wieder. So lange ich kurbel, isses egal. Also kurbel ich.
Am Pass gibt es also nichts zu feiern für mich; ich bin nicht deprimiert und nicht am Ende. Ich bin einfach nur leer. Da ich wenigstens schneller als 2006 sein möchte, halte ich nicht mal an, um mir die Sonnenbrille wieder aufzusetzen, die ich bei der Abfahrt doch dringend brauche. "Reicht auch noch beim Gegenanstieg" denke ich mir, schalte in den höchsten Gang und kurbel einfach runter, so schnell ich kann. Grad zwei Kehren weiter zwinge ich mich nach einer Spitzkehre dann doch zum Halt und setz das Teil auf die Nase. Kann ja nichts schaden, wenn man bei der letzten Abfahrt auch noch was sieht...
Die Abfahrt nach Sölden
Nach etwa 400-500 Höhenmetern der Abfahrt kommt der allerletzte ernste Gegenanstieg auf der ganzen Strecke. Er ist mit 200 Höhenmetern geradezu lachhaft, jedenfalls im Vergleich zu den bereits erbrachten 5300 Höhenmetern zu diesem Zeitpunkt. Und dennoch sind es die absolut blödesten, fiesesten und verfluchtesten Höhenmeter der ganzen Runde. Die Beine protestieren, weil das Hirn unaufhörlich feuerte: "ab dem Pass nur noch runter, ab dem Pass nur noch runter, ...". Und dann doch wieder rauf. Das Kreuz schmerzt, die Beine sind ungelenk und "streiken" irgendwie, der Hintern schmerzt, alles in mir will jetzt nur noch "Feierabend" haben. Aber nichts da. In der prallen Sonne geht es wieder bergauf wie schon stundenlang heute an diesem Tag und wenn auch das Hirn genau weiß, es ist nicht lang und es ist nicht hoch: es ist vor allem GENUG JETZT !
Gegenanstieg nach dem Timmelsjoch: eine Qual, vor allem im Kopf
Auf den letzten Kilometern der Abfahrt wirds noch mal richtig steil und ich reiße mich zusammen, jetzt "bitte bitte keinen Fehler mehr zu machen". Ansonsten ist mir allerdings recht viel schon recht egal geworden. Zwar bremst die Vorsicht und der Verstand noch immer irgendwo "ganz weit hinten" mit, aber im Grunde gehts nur noch schnell und nur noch runter. Das ist das Einzige, was jetzt noch zählt. Ich seh auf meine Armbanduhr, die gleichzeitig auch der Pulsmesser ist. Ich schalte auf Stoppuhr und liege bei einer Zeit von 10:50h bis jetzt. Wenn ich also in wenigen Minuten die letzten Höhenmeter auch noch hinter mich bringe, dann schaffe ich es wenigstens unter 11 Stunden. Mann, das wird knapp. Verdammt knapp. "11 Stunden, HÄHÄÄÄÄ! - ich wollte unter 10 fahren, UNTER 10 ! - wollte ich. Egal jetzt. Weiter. Schneller. Fahr schneller..."
Und noch in der letzten Kehre vor Sölden reißt die Unfallserie hier nicht ab. Auch hier stehen noch "arme Schweine" auf dem Grünstreifen in der Kehre, mit ausgebautem Vorder- oder Hinterrrad und müssen ihren Ersatzschlauch montieren. Entweder einen Platten gerissen oder wegen Überhitzung der Felgen nen Platten in den Gummischlauch "gebrannt". (Noch werden keine Scheibenbremsen an den Rennrädern gefahren). "Also nicht zu viel bremsen" denke ich mir und "lass es !", wie Hannah immer sagt.
Und tatsächlich kriege ich noch so etwas wie einen Schlussspurt unten in Sölden hin. Die Hauptstrasse ist gesäumt von Zuschauern, noch zwei drei vier Radler sind vor mir auf dem Weg zur Zielgeraden, die 100 Meter vor der Ziellinie in einer engen 90°-Kurve über eine Brücke zum Sportzentrum führt. Dort ist das Ende. Also nehm ich den Hintern wie automatisch aus dem Sattel, geh in den Wiegetritt und überhole noch vor der Ziellinie 2 der Fahrer vor mir. FERTIG !
Noch halb höre ich die Zielansage der "Stadionsprecher". Weil dies aber eine Veranstaltung über die Landesgrenzen von Österreich und Italien hinweg ist, wechseln sie sich auch in der Sprache der Durchsagen ab. Bei mir ists dann irgendwas italienisches, was aber auch alles bedeuten könnte. Ich versteh rein garnichts, kann meinen durchgesagten Namen auch nicht ansatzweise erahnen und beuge mich erschöpft mit dem Rad zwischen den Beinen über den Lenker. Das Herz pumpt noch wie wild, die Beine und der Kopf sind schon angekommen, der Verstand kommt irgendwann auch noch nach. Ich bin leer, ausgepowert und trotz der Zeit sehr glücklich. Ich habe es geschafft. ICH habe es GESCHAFFT. Daran gibt es nun nichts mehr zu deuteln.
Es dauert länger, bis ich es fassen kann. Ich verbringe viel Zeit im Zielraum, setze mich auf den beengten Boden des Zielraumes, hol mir noch ne Cola aus der Verpflegungsstelle der "Finisher" und schau in die Sonne, schau in die Leute und schau auf mein Rad.
GESCHAFFT.
Nicht schneller als Markus oder Holger. Nicht unter 10 Stunden. "Egal jetzt". Geschafft. An diesem grandiosen Sommertag, unter blauem Himmel.
Mein Pfand für den Transponder (Sender am Knöchelgelenk, der die Durchfahrtszeiten per Funk weiter gibt) von 10 € bekomme ich gleich zurück, als ich das Teil den Helferinnen im Zielbereich übergebe. Davon werde ich mir - zusammen mit dem Gutschein für mein Finisher-T-shirt - mein Foto vom Fotoservice am Kühtai finanzieren. Auf dem Weg dort hin begegne ich zufällig Holger, der schon frisch geduscht und rasiert auf dem Weg zur Trikot-Ausgabe ist. Schon LANG im Ziel, reicht sogar schon fürs duschen. Wir verabreden uns für den Zielraum, denn er möchte dort auf seine Lebensgefährtin "Ki" warten, die auch bald "finishen" müßte. Also geh ich einen kleinen Umweg zu unserem Treffpunkt, und hol uns noch zwei Bier...
Epilog
Jetzt, nach drei Wochen, ist der Ötzi schon "verdammt lang her", wie BAP auch mal gesungen hat.
Es fällt mir schwer, mich für die Radrunden hier zu motivieren. Nicht, weil ich keine Lust auf Sport hätte, sondern weil im Vergleich zum Ötzi alles hier recht "fad" ist.
Im kommenden Jahr werde ich NICHT am Ötzi teilnehmen. Es gilt, sich wieder neue Ziele zu suchen und neue Herausforderungen zu finden. Der Ötzi ist "gemacht" und ich habe ihn zwei mal bestanden, 2006 und 2007.
Mögliche neue Ziele sind für mich der "Jungfraujoch-Marathon" in der Schweiz: In nächster Nähe zum Matterhorn wird die klassische Marathondistanz von 42km gelaufen und nach 21km geht es dann auch in den Anstieg von 2000 Höhenmetern auf das Jungfraujoch. Für diesen Laufmarathon muß man auch an einer Verlosung der Startplätze teilnehmen. Das tat ich 2005 und ergatterte tatsächlich eine Startnummer. Allerdings war das Ende des Winters; wenige Tage nach der Startnummerzuteilung erfuhren wir, dass auch Hannah sich auf den Weg ins Leben aufgemacht hatte und im Herbst (Termin des Jungfraujochmarathons) bei uns im Ziel einlaufen wollte. Also blieb die Rechnung mit dem Jungfraujoch noch offen.
Eine weitere Option wäre der "Alpen-Brevet" in der Schweiz. Ein Radrennen für jedermann, welches den ötzi noch um weitere 1000 Höhenmeter "topt": 250km Strecke und sage und schreibe 6500 Höhenmeter, natürlich an einem Tag und auf nicht gesperrten Strassen, d.h. zwischen dem normalen Autoverkehr hindurch. Wenn ich so in mich höre, dann reizt mich das im Moment noch am meisten, wie ich zugeben muß. Mal sehen, ob ich meine Familie überzeugen kann und ob es mir gelingt, Holger und Markus zu überreden.
Schließlich stünde schon lange auch mal wieder eine "richtige", mehrtägige Bergtour an, die in den letzten Jahren erheblich zu kurz gekommen ist.
Wie auch immer. Wenn ich mir den Bericht nun selbst so ansehe, dann fällt mir auf, dass sich die "Sinnfrage" diesmal nie gestellt hat. Das berühmt berüchtigte "was mach ich hier eigentlich ?" kam mir nie in den Sinn während dem Ötzi 2007. Nicht, dass ich einen "Sinn" erklären könnte. Definitiv macht es keinen "Sinn" und es erfüllt auch keinen Zweck. Ich bin auf keiner Flucht vor etwas und ich glaube nicht, mir etwas beweisen zu müssen. Ich hätte mir auch bewiesen, es nicht zu schaffen. Wäre ich an den entsprechenden Punkt gekommen - aus welchem Grund auch immer - dann hätte ich auch aufgegeben. Aber das war zu keinem Zeitpunkt der Fall.
Es hat mir über die Dauer von einem Jahr erheblichen Spass und Freude bereitet, mich punktgenau auf einen bestimmten Tag in die mir bestmögliche Form zu bringen und mein Material mit den mir gegebenen Möglichkeiten zu optimieren. Alleine deswegen hat es sich schon gelohnt. Es hat mir neben der Monotonie des Trainings in diesem Jahr erhebliche Freude bereitet, die Trainingsrunden zu fahren und akribisch jede Fahrminute und jeden Höhenmeter zu notieren und am Monatsende mit meinen Freunden zu vergleichen.
Mag es auch paradox klingen, aber diese Erlebnisse waren Selbstzweck, egoistisch und sinnfrei. Sie waren einfach klasse und haben mir ein hohes Maß an Lebensfreude und Motivation gegeben. Auch gerade dieses Jahr den Plan umzusetzen, auf keinen Fall stehen zu bleiben und anzuhalten. Trotz der Zeit von knapp 11 Stunden erfüllt mich das mit Freude und Stolz, der im Grunde genommen völlig sinn- und nutzfrei ist. Genauso gut kann ich mich freuen, die 123 Briefmarke der Serie XY gefunden zu haben, oder genauso stolz ist der "Pillendreher", wenn er seine Matschkugel den Erdhügel hinauf gewuchtet hat und sie auf der anderen Seite des Hügels wieder herunter rollt. Es ist völlig egal, es spielt in unser aller Leben überhaupt keine Rolle und es gibt verdammt viele Zeiten und Momente, die man und frau sinnvoller nutzen kann und vielleicht auch sinnvoller nutzen "sollte".
Doch die innere Betrachtung dieser Unternehmungen ist frei von Wertung und Begründung; sie hat einen inneren, maßstabsfreien Wert, der mir unbezahlbar ist. Die Fahrten waren beide "aller-oberst-genial" und die Anstrengungen und die Ausdauer gehören dazu wie das Wasser zum Regen und das Licht zur Sonne. Sie brauchen nicht erklärt werden.
Mein Rennrad in der Version "Ötzi 2007". Ein Sammelsurium unterschiedlichster Komponenten, Gewicht: 8,5kg.
Ich freue mich auf die nächste Herausforderung, was es auch sein mag... und werde auch hier wieder darüber berichten. Ich hoffe auch, diese Erfahrungen mit meinen beiden Freunden teilen und vergleichen zu können.
Denn ich krieg euch doch !
Schneller als Markus und Holger. Vielleicht am nächsten Pass, vielleicht auf der nächsten Tour.
Bestimmt, irgendwann.
Prost !
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Dienstag, 14. August 2007
noch 12 Tage
bemir, 15:53h
noch 12 Tage
6.031 km
50.392 hm
73.3 kg
Everest solo ist das Buch, mit dem ich mich derzeit versuche, mental auf den Ötzi vorzubereiten. Allerdings ist auch das eine langwierige Angelegenheit, denn die ersten 150 Seiten gehts nur um Organisation, Vorbereitung und Beziehungsstress. Erst im letzten Viertel des Buches gehts dann endlich zur Sache. Sein Spaltensturz bei der Solobesteigung ist sogar auf einer Seite abgehandelt. Mensch Reinhold, da hättest Du dir aber auch so die ein oder andere Seite im Voraus über Hin- und Rückflüge und wackelige Pisten mit Jeeps sparen können und lieber den Spaltensturz seitenlang behandeln können. "Da war eine Schneebrücke im dunklen Nichts und drüben ein Band und dann war ich draußen." - AHA !
Werd mir nach MESSNER lieber noch mal SIMPSONS "Sturz ins Leere" reinziehen. Die Dramatik und Solotour zurück ins Leben ist kaum zu überbieten...
Irgendwie brauche ich noch eine "Gesamtstrategie" für den Ötzi, wenngleich die Vorüberlegungen bereits gediehen sind: die Durchfahrtszeiten für eine Fahrzeit < 10h habe ich bereits ausgerechnet. Ausserdem will ich ab dem Jaufen-Pass bzw. der Ortsdurchfahrt "St.Leonhard" (Kontrollpunkt) nicht mehr auf die Fahrzeit achten. Denn sollte ich zu weit hinten liegen, dann durchlöchert mir die Uhr JEDE Motivation am Timmelsjoch. Und das geht niemals nicht. Also werd ich es machen wie bei meinem schnellsten Laufmarathon bisher (3:31h). Die erste Hälfte auf die Uhr sehen und den Puls penibel beachten. Dadurch komme ich in die richtige Leistungsschiene. Ab dann nicht mehr, um mich nicht verrückt zu machen. Sollte es gut laufen, dann ist das eh die beste Motivation, die ich mir denken kann. Wenn nicht, dann ists auch egal.
Gestern hab ich noch 10gr an mir getunt: Haare ab ! - Heute zeigt die Waage wieder 73kg und davon 30% Fett. Schluck. Da muß noch was runter, auf jeden Fall.
Grundlagenrunde mit Hannah war sehr schön, aber auch sehr schwül. Über 10,5km/h bin ich nicht heraus gekommen. 12km Strecke.
Unglaublich, wie viele und gut aussehende Frauen an einem Werktag vormittags auf der Joggingpiste unterwegs sind...
6.031 km
50.392 hm
73.3 kg
Everest solo ist das Buch, mit dem ich mich derzeit versuche, mental auf den Ötzi vorzubereiten. Allerdings ist auch das eine langwierige Angelegenheit, denn die ersten 150 Seiten gehts nur um Organisation, Vorbereitung und Beziehungsstress. Erst im letzten Viertel des Buches gehts dann endlich zur Sache. Sein Spaltensturz bei der Solobesteigung ist sogar auf einer Seite abgehandelt. Mensch Reinhold, da hättest Du dir aber auch so die ein oder andere Seite im Voraus über Hin- und Rückflüge und wackelige Pisten mit Jeeps sparen können und lieber den Spaltensturz seitenlang behandeln können. "Da war eine Schneebrücke im dunklen Nichts und drüben ein Band und dann war ich draußen." - AHA !
Werd mir nach MESSNER lieber noch mal SIMPSONS "Sturz ins Leere" reinziehen. Die Dramatik und Solotour zurück ins Leben ist kaum zu überbieten...
Irgendwie brauche ich noch eine "Gesamtstrategie" für den Ötzi, wenngleich die Vorüberlegungen bereits gediehen sind: die Durchfahrtszeiten für eine Fahrzeit < 10h habe ich bereits ausgerechnet. Ausserdem will ich ab dem Jaufen-Pass bzw. der Ortsdurchfahrt "St.Leonhard" (Kontrollpunkt) nicht mehr auf die Fahrzeit achten. Denn sollte ich zu weit hinten liegen, dann durchlöchert mir die Uhr JEDE Motivation am Timmelsjoch. Und das geht niemals nicht. Also werd ich es machen wie bei meinem schnellsten Laufmarathon bisher (3:31h). Die erste Hälfte auf die Uhr sehen und den Puls penibel beachten. Dadurch komme ich in die richtige Leistungsschiene. Ab dann nicht mehr, um mich nicht verrückt zu machen. Sollte es gut laufen, dann ist das eh die beste Motivation, die ich mir denken kann. Wenn nicht, dann ists auch egal.
Gestern hab ich noch 10gr an mir getunt: Haare ab ! - Heute zeigt die Waage wieder 73kg und davon 30% Fett. Schluck. Da muß noch was runter, auf jeden Fall.
Grundlagenrunde mit Hannah war sehr schön, aber auch sehr schwül. Über 10,5km/h bin ich nicht heraus gekommen. 12km Strecke.
Unglaublich, wie viele und gut aussehende Frauen an einem Werktag vormittags auf der Joggingpiste unterwegs sind...
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