Freitag, 25. April 2008
RheinEnergieMarathon in Bonn
Ich habe gesucht und gesucht und gesucht. Ich habe probiert und in mich hinein gehorcht aber nichts gehört. Ich habe gedreht und gewendet aber keinen neuen Blickwinkel erreicht. Als mir gar nichts mehr einfallen wollte, habe ich einfach nur gezählt. Meine Schritte. Ich habe die bereits gelaufenen Kilometer als Zahl genommen und mir als Schlagzahl für den Intervall zwischen Laufen und Gehen gesetzt: "38 Kilometer habe ich bereits, also 38 Schritte Gehen dürfen, dann 38 Schritte Laufen müssen, am Besten gleich mit Faktor 2 oder 3 multiplizieren und dann wieder 38 Schritte zur Erholung gehen dürfen... ach halt: ich bin ja inzwischen bei km39. Also 39 Schritte gehen dürfen..."

Mit der Reduktion auf Zahlen und einzelne Schritte ging es dann irgendwie. Tatsächlich habe ich jeden Meter verflucht, der zwischen km36 und dem Ziel bei km42.125 gelegen hat. Ab km39 war es mir physisch und psychisch nahezu unerträglich, und ich wollte schlichtweg nicht mehr. Kein bisschenkeingarnichtmehrnullkommagarnichtsmehrnullingernull mehr wollte ich noch. In dieser Leere des "nicht mehr Wollens" fiel dann tatsächlich ein "vergessen", so das ich nicht mehr sagen kann, wie der letzte Kilometer dann doch noch funktioniert hat. Irgendwie muss ich ihn gelaufen sein, aber im Vergleich zu dem Kilometern zwischen km36 und km41 löste sich der letzte dann in der Erinnerung in Luft auf. Zwar kann ich mich genau an die Örtlichkeiten und das Aussehen des Letzten erinnern, aber nicht, wie ich ihn hinter mich gebracht hab. Gezählt habe ich jedenfalls nicht mehr, dessen bin ich mir sicher.


Streckenverlauf durch die Innenstadt von Bonn

nach dem Ötzi 2007 ...
entstand bei mir ein Motivationsloch größeren Ausmaßes. Es stand kein neuer Ötzi in Aussicht, Markus und Holger hatten auch keine klaren Ziele, also trieb ich so dahin. Mit dem Rad zur Arbeit und manchmal ne Runde gelaufen, das wars. So halt. Ohne Ziel.
Auch die diversen Versuche, Markus und Holger auf eine Sportidee für 2008 "anzufixxen" und damit endlich wieder auf ein Ziel hin zu trainieren funktionierte nicht. Es ergab sich nicht.
Also reduzierte ich meine Suche auf mich selbst und kam zurück zu den Wurzeln meiner sportlichen Wiedergeburt nach dem gesundheitlichen Raubbau des Rauchens vor 9 Jahren: dem Laufen. Meinen letzten Marathon bin ich vor 3 Jahren in der Nähe von Nürnberg gelaufen. Knapp unter 4 Stunden, mit 10,5km/h im Schnitt. Dann kamen verstärkt die Radmarathons und das Laufen verschwand etwas aus dem Blickwinkel. Die Zeit war nun also reif, an die Laufmarathons wieder anzuschließen.
Über das Internet suchte ich mir einen Lauf der recht früh im Jahr angesetzt war und kam auf den Düsseldorfer Marathon, den ich 2003 schon einmal gelaufen war. So konnte ich den Lauf mit einem Besuch bei Holger und Ki verbinden. Aus welchem Grund sollte man auch sonst da hoch fahren, zieht es mich (und Holger) für den Sport doch sonst in die andere Richtung, in die Berge...
Irgendwann vor dem Jahreswechsel meldete ich mich spät nachts nach 2 oder 3 Bier online in Bonn an, nachdem Holger mir von Düsseldorf abgeraten hatte ("Düsseldorf.... neeeee") und Bonn viel näher von ihrem Haus aus zu erreichen sei. Also gut, dann eben Bonn. Eh wurscht.
Da man einen Marathon nicht "einfach so" läuft - jedenfalls ich nicht - nahm ich mir ein Trainingspensum von mind. 100 Trainingskilometern im Monat vor, was ich neben dem Radln auch tatsächlich umsetzen konnte.
Im Vergleich zu früher jedoch haben mir die Trainingsrunden nicht mehr so den Spaß gemacht. Das berühmte "runners-high", bei dem man und frau beim Laufen vor lauter Glück und Euphorie regelrecht über den Asphalt schwebt und die Kilometer nur so zerschmelzen, das kenne ich zwar noch, hat sich aber in der Vorbereitung nie eingestellt. Im Gegenteil. Das "runners-high" hatte ich am Morgen des nächsten Tages: als ich wieder im Sattel meines Rades auf dem Weg zur Arbeit gewesen bin.

zwei Wochen vor dem Marathon
wollte ich durch einen Sololauf durch den Wald mit 34km eine Runde hinlegen, die meinen Zweifeln und meiner Psyche beweisen sollte, problemlos auch die magischen 30km zu durchbrechen. Leider endete diese Runde aber im völlige "Fiasko": nach 24km musste ich aus dem laufen heraus und konnte nur noch gehen. Es kam mit der Sonne die Wärme, ich war zu dick angezogen und hatte nur 0,2l Wasser dabei und quälte mich "ellenlange" 7km wieder nach hause. Frustriert, fertig und 2 Wochen vor dem Marathon mit einem verdammt schlechten Gefühl. Meine Analyse ergab: zu schnell los gelaufen, zu warm angezogen, zu wenig zu trinken und zu wenige Trainingskilometer.
3 Tage später lief ich meine Haustrainingsrunde von 11,8km in 56min, das entspricht einem Tempo von 12,3km/h. Zudem hatte ich mich erst bei genau der Hälfte der Runde zum Rekordversuch entschlossen und war hinterher um so mehr von meinem Leistungsvermögen wieder überzeugt. Zwar hatte ich auch hier keinen "runners-high", aber es fühlte sich gut an, so schnell so ausdauernd zu Laufen. Es machte Spass, der üblichen Runde an jeder Ecke ein paar Sekunden abzunehmen und zum Schluss noch guter Dinge zu sein. Sportliche Höchstleistung kann schon gut stimulieren und gewaltig motivieren.

der Start in Bonn
war um 10:30 Uhr. Holger und Ki waren zuvor um 8:30 Uhr den Halbmarathon mit 6000 anderen Teilnehmern gelaufen, nun stand ich mit 1500 anderen am Start.
Das Wetter versprach Sonne bei bis 20°C, aber seit dem frühen Morgen hatte es nicht aufgerissen, es ging ein lausig kalter Wind und alles fror und schnatterte um mich herum, wartete auf wärmende Sonnenstrahlen, die nicht kamen. Da man beim Marathon kleidungstechnisch recht festgelegt ist, standen eben alle mit "etwas zu wenig" am Start.
10:15 Uhr konnte man endlich in den Startbereich und der Sprecher versuchte die Meute anzufeuern und zu motivieren, was nicht recht gelang. Aus Nervosität bewegte ich mich auch etwas hin und her - soweit möglich in dem abgesperrten Startareal der Straße - vermied aber, mich zu sehr zu bewegen. Da wäre mir zwar wärmer geworden, aber ich halte das für Unsinn am Beginn von 42 Laufkilometern: später ist man auf jedem Zentimeter Strasse froh an der Energie, die der Körper noch zu bieten hat. "Aufwärmen" kann man sich auf den ersten Metern und Kilometern des Laufes.
Die letzten 10 Sekunden zählten dann alle um mich herum lautstark herunter, dann knallte der Startschuss durch die Menge, Pulsmesser piepsen, Läufer werfen ihre Pullover den Zuschauern zu und wollen loslegen... und es passiert: NICHTS. - Keiner geht, keiner kann nur einen Zentimeter vorwärts. Minutenlang. "Hach, wie ich das hasse...". Erst später kann ich realisieren, das hier in Bonn in "Intervallen" gestartet wird. Die erste Gruppe, der erste Startblock läuft los, dann eine Minute Pause, dann der Nächste, und so weiter... und so weiter...
Mit 5 Minuten Verspätung gehts dann aber endlich auch mal los für mich... ENDLICH ! - Los etz !

Nach dem ersten Kilometer
geht es gleich auf der Kennedybrücke über den Rhein. Hier stehen noch viele Zuschauer und applaudieren uns Läufern kräftig zu. So langsam kommt der Körper auf Betriebstemperatur, die Laufschritte werden regelmäßiger und die Unruhe des Startens zerrinnt langsam unter den Füßen.
Ich habe oft versucht, mir die richtige Strategie für diesen Lauf zu überlegen. Sicherlich nicht zu schnell laufen am Anfang, gerade da nicht. Auch wenn die Motivation und die Aufregung noch am Größten sind. Am Anfang eher bremsen, um in den richtigen Rhythmus zu gelangen, der auch 42km trägt.
Auf der anderen Seite ist es mir nicht möglich, während dem Lauf noch einmal die Geschwindigkeit noch oben zu korrigieren. Laufe ich also zu langsam los und merke nach etwa der Hälfte der Strecke "es wäre noch mehr drin", dann führt die Beschleunigung zu einem veränderten Atmungsrhythmus, der wiederum das eingespielte Gleichgewicht aus Atmung, Herzfrequenz und Schrittfrequenz völlig durcheinander bringt und bei mir in der Regel mit "gehen müssen" endet. Also sind all die leichten und dahinfliegenden Schritte am Anfang des Rennens ein Tanz um die "richtigen" Pegelwerte, ein Balanceakt zwischen "zu langsam" und "zu schnell".
Nach km3 bis km4 pendelt sich mein Tempo ein: ich laufe mit exakt 12km/h die Stunde, mein Puls zeigt 155 bis 160 Schläge pro Minute. Nicht zu langsam, hoffentlich nicht zu schnell. Derzeit ideal, ich fühle mich pudelwohl. So kanns bleiben. Ab jetzt einfach Autopilot einschalten, nichts mehr denken und nur noch Laufen. (Auf der Strecke ist jeder Kilometer durch einen Tafel markiert. Wenn man sich die Zeit zwischen den Markierungen stoppt, lässt sich die Geschwindigkeit ermitteln. Bei genau 5:00 min pro Kilometer ergibt sich eine Geschwindigkeit von exakt 12,00km/h).

Bei km4, unmittelbar vor der ersten Wende, ist die erste Versorgung aufgebaut. Auf vielen Biertischen ("hihi") ist zuerst Platz für die Spezialisten, die ihre eigene Versorgung zum Rennen mitgebracht haben und dort deponieren können. Dann kommen die Tische mit dem Wasser, den Isogetränken, dann Cola und zum Schluss Bananen. Alle Getränke werden in Plastikbechern gereicht: Helfer halten einem das Getränk entgegen, und man kann gut per Kopfnicken gestikulieren, ob man das möchte oder nicht.
Für die erste Verpflegung habe ich mir vorgenommen,nichts aufzunehmen. Ich möchte durchlaufen und mir meinen idealen Rhythmus, den ich inzwischen gefunden habe, nicht vermurksen lassen. Außerdem habe ich nach 4km noch keinen Durst und bin noch gut drauf. Also weiche ich auf die andere Straßenseite aus um dem Rummel zu entgehen und lauf einfach durch. "Doch, doch. Ich fühl mich großartig !".

ein Novum
bei diesem Marathon war die Schülerstaffel. Hierbei waren etliche Schüler unterschiedlichsten Alters auf der Strecke unterwegs. Sie liefen einige Kilometer - je nach Alter und Leistung - und wurden dann ausgewechselt. Das Ganze war auch perfekt organisiert, einige hundert Meter vor der Wechselstation standen Helfer und gaben per Funk an die Wechselstation weiter, welcher Schüler bzw. welche Schülerin als nächstes in wenigen Sekunden eintreffen würde.
Alle Schüler hatten ein farbiges Band am Körper und waren so gut zu erkennen.
Mir ging es mit den Schülern ganz unterschiedlich: einerseits wollte ich gerade am Anfang den ein oder anderen gerne motivieren und auf die Schulter klopfen oder was zu trinken reichen oder wie auch immer helfen. Schließlich find ich es genial, wenn Kinder und Jugendliche diesen Alters sich für den Sport interessieren. Nicht wenige von ihnen gingen schon vor Ende des zweiten Kilometers, mit den Händen in die Hüften gestemmt und mit hochrotem Kopf. "Naja", denke ich mir "so würde mir Sport dann auch keinen Spaß machen...".
An den Engstellen des Streckenverlaufes fand ich es gleichzeitig auch oft sehr hinderlich. Plötzlich stackste einem ein "Knopf" vor den Füßen herum, wendete plötzlich nach links oder rechts, bleibt unvermittelt stehen und ringt mir den ein oder anderen stillen Fluch ab.
"Hähähähäää" denke ich mir manchmal am Anfang des Laufes, "hat man jemanden zum überholen." - was sich aber gegen Ende des Rennens völlig verkehrte: dann war ich das "Überholfutter" für die Schüler, die frisch ausgeruht in ihrer Staffel irgendwo aus der Ecke sprangen und fluggs an den alten Säcken vorüber preschten, die mit ihrem eigenen Leiden all zu sehr beschäftigt waren... "herrje", "fuck,fuck,fuck. Selbst von Kindern wirst Du hier noch fertig gemacht, unglaublich. Alter Mann, geh heim." dachte ich mir dann.

die erste Runde
endete ziemlich genau wieder in Höhe des Rathausplatzes nach 21km. Auf dem Weg durch die Fußgängerzone waren die Läufer durch Metallgitter von den Zuschauern geschützt - oder umgekehrt - und man lief wie Vieh beim Almabtrieb durch die Meute. Ich suchte mit den Augen schon einige Zeit vorher immer wieder den Rand nach der Tafel mit der "21"ab, aber sie wollte und wollte nicht kommen. Das war so der erste Moment, bei dem ich mich nicht mehr recht wohl in meiner 12km/h-Haut fühlte. Zwar war mein Puls beständig bei 160 geblieben - ein sehr guter und verlässlicher Wert für mich - aber ich merkte an Details, das ich nicht mit 42km zurecht kommen werden würde: ich spürte es und wollte und konnte den Gedanken daran nicht zulassen. Während ich durch die Metallbahn spurtete, spürte ich, wie zunächst meine Schritte immer etwas unsicherer wurden. Nur in minimalen Kleinigkeiten, in Details, aber spürbar. Die Hüfte spannte sich zunehmend an. Zwar war das noch kein Seitenstechen, aber die Vorstufe dazu. Ich versuchte durch besonders intensives und langes Atmen hier wieder Entspannung herbeizuführen, aber das gelang nur teilweise. Erstens war der Gedanke nicht zu verjagen, es "so" nicht in diesem Tempo zu Ende bringen zu können und zweitens wusste oder dachte ich mir, dass sich kein Teil meines Körpers WÄHREND dem Lauf und nach bereits erbrachten 21km würde ENTSPANNEN können.
Ich lief weiter, konsultierte dauernd meine Uhr mit Zeit pro Kilometer und Pulskontrolle und versuchte mir intensiv einzureden: "hey, die erste Runde ist geschafft. KLASSE. Immerhin. Schon die Hälfte durch. NUR noch EINE weitere Runde..."

der Mann mit dem Hammer
kam auch dieses mal wieder zu mir: damit ist gemeint, das man meist ab km30 einen Einbruch erlebt. Als würde einem jemand mit nem Hammer die Beine wegziehen. Die streiken einfach nur noch und wollen nicht mehr. Schlag-artig, im wahrsten Sinne des Wortes.
Nach dem Durchlauf der ersten Runde mit km21 in einer Zeit von 1:46h war ich mit dem Wert und meiner Leistung total zufrieden. Es ging wieder hinaus auf die Kennedybrücke über den Rhein. Alle Detailsignale in mir versammelten sich und präsentierten mir die Quittung für den bisherigen Lauf:"so gehts nicht weiter, so nicht auf 42km". Ich wollte das nicht wahr haben, ich wollte das um keinen Preis akzeptieren. GENAU DAS nicht. GENAU DAS ist der Generalfehler beim Marathon, der mir all zu oft passiert. Daher durfte es diesmal nicht wieder passieren. DIESMAL NICHT. Also: "klar sind die Beine schon etwas schwer, was sollen sie sonst sein, nach 23km ?" - die Sonne kommt mehr und mehr heraus, sofort nimmt die Temperatur zu. Die Zuschauermenge in der zweiten Runde hat spürbar abgenommen, es ist nur an einzelnen Stellen "etwas los".
Auf den ersten Kilometern hatte ich mit vorgenommen, meine Musik (MP3-Player) erst ab km16 einzuschalten, was ich dann generalstabsmäßig auch getan habe. Mit der Gruppe "BAP" versuche ich mich abzulenken, die Kilometer und die zerrinnende Zeit zu vergessen. Das klingt im Ansatz, aber nicht in der Tiefe. Die Spannung in der Hüfte nimmt wieder zu, verstärkt sich nach den hineingehasteten Schlücken Flüssigkeit während dem Lauf. Inzwischen bin ich hier bei Cola angekommen, dem persönlichen Wundermittel bei solchen Veranstaltungen. Wegen des hohen Zuckergehalts gibt es schnell Energie, die jedoch wegen der Eigenschaften dieses Zuckers auch genau so schnell wieder versiegt. "wenn Du mit Cola anfängst, dann geht nichts anderes mehr." Diesem Grundsatz kann ich nur zustimmen. Dennoch gibt weder die Cola noch BAP die Energie zurück.
Es wird quälend offensichtlich, mit jedem Schritt in diesem Lauf: ich werde es nicht schaffen, die 42km durchzulaufen. Ich werde es auch nicht schaffen, den geheimen Wunsch zu realisieren und meine Bestzeit von 3:31h bei einem Marathon anzugreifen oder auch nur in die Nähe zu kommen.
Beim Laufmarathon gibt es im Vergleich zum Radmarathon "keine" Abwechslung. Es ist immer der gleiche Bewegungsablauf, (hoffentlich) immer der gleiche Rhythmus der Beine, der Lunge und des Herzens. Es bleibt immer alles gleich, bis die Distanz überwunden ist. Dann endlich darf man sich hinsetzen und nichts mehr tun. Aber erst dann. Beim Rad ist das anders: durch die Landschaft ändert sich permanent die Anforderung: bergauf, eben , bergab. Der ganze Körper und die Psyche bekommen viele Reize, viel Abwechslung. Die Monotonie der Ausdauer wird überspielt, überstrahlt. Nicht so beim Laufen: "es bleibt alles anders", immer das Gleiche.
Bei km26 kapituliere ich innerlich eigentlich bereits. Es sind noch unsagbare 16km bis zum Ziel, bis zum "endlich aufhören dürfen", doch so wie bisher gehts nun nicht mehr weiter. Ich werde langsamer, ich werde bewußt langsamer, um nicht stehen bleiben zu müssen. Erst wird die Schrittlänge kürzer, dann die Schrittfrequenz niedriger. Immer mehr Läufer ziehen an mir vorbei, ich bin raus aus dem Feld. "Wenn Du langsamer wirst, dann brichst Du ein, dann ist es aus. Durchlaufen, immer im gleichen Tempo. Nicht anhalten, nur nicht stehen bleiben." Das war meine Devise. Nun kapituliere ich auf 4-5km. Das Rheinufer entlang, auf einer Geraden von fast 10km Länge. Das langsamer werden bringt keine Erleichterung, was mein Kopf vorher schon gewußt hat. Die Beine und alles war an die Frequenz von 12km/h bei 160 Puls gewöhnt, eingeschossen, eingelaufen. Jetzt etwas zu ändern, egal ob schneller oder langsamer, zerstört das System und die Bereitschaft, den Lauf zu meistern. Es ist ein quälendes Sterben der Motivation, ein Siechtum des Willens. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Immer länger werden die Kilometer, immer schneller die anderen.
Mit dem Gedanken an den letzten Ötzi und die Bewältigung des Timmelsjoch versuche ich verbissen mir einzureden, "ja bloß weiterzulaufen." Es sind so Gedanken wie "alles ist besser als stehen bleiben" und "der angenehmste Zustand ist das Laufen, nicht die Pause". Aber das hilft alles nichts. Ich ringe die Kilometer nieder, bis sie mich geschafft haben. Besiegt, aus und vorbei. Ich bleibe stehen. Zuerst gehe ich noch, dann bleibe ich wirklich stehen. Kilometer: 35,5. Zweispurige Hauptstraße, fast keine Zuschauer, pralle Sonne inzwischen und noch etwa 1km bis zur Versorgung. Da standen wir dann: ich und der Mann mit dem Hammer. Aus. Vorbei. An der Grenze angekommen. Hier ist sie. Genau hier. "FUCK FUCK FUCK !!!" - klingt nicht gut und nicht nett. Ist aber so. "Scheißdreck aber auch."

die kleinere Qual
ist es dann doch, den Lauf wieder aufzunehmen, nach einigen Schritten, die ich gegangen bin. "Vielleicht komme ich ja doch wieder rein..." (HAHAHAHAAAA !). Ich laufe einige hundert Meter, dann gehe ich wieder viele Schritte. In der Ferne der Versorgungsstand bei km36. Bis dahin laufe ich wieder. Dort bleibe ich stehen bzw. gehe wieder und versorge mich mit Cola und Bananen.
Bei km36 kommt die letzte Wende. Noch einmal macht die Strecke einen Bogen von 180°, ab hier geht es wieder zurück zum Start und zum Ziel. Noch ganze 6 Kilometer. 6.000 Meter. Etwa 8.000 Schritte...
Als ich vor dem Start über der Karte gebeugt dagesessen hatte und mir alles so ansah, da wollte ich ab diesem Punkt "Kilometer 36" noch mal alle Kräfte bündeln und "speed" machen, Gas geben und die letzten Kilometer "einfach so" runterspulen. Das geht tatsächlich, das habe ich schon erlebt. Allerdings nur, wenn noch "alles so im Lot ist", der Laufkörper noch zufriedenstellend arbeitet und vor allem der Geist und das Hirn mit dem bisherigen Lauf zufrieden ist und sich selbst damit motivieren kann, das alles klasse läuft bis hier hin. Dem ist aber heute nicht so. Ich stolper so dahin, mehr gehe ich als das ich laufe, ich fluche und schimpfe und hasse die Distanz bis zum Ziel. Jeder Meter kostet Überwindung. Egal jetzt, weiter.
Meine Beine protestieren mehr und mehr. Jedes Gehen und wieder anlaufen wird zur regelrechten Qual. "Die Beine wollen wirklich nimmer, scheiße" denke ich mir. Öfter bleibe ich nun komplett stehen und dehne die Beine kurz indem ich mich gegen Straßenlaternen stemme, gegen Leitplanken. Neben den anderen Verzweifelten. Wie beim Ötzi am Timmelsjoch nehmen auch hier zwischen km39 und km40 die "Geher und Steher" zu. Diesmal bin ich leider auch einer von ihnen. "Verdammt". Ein Blick zur Uhr: 3Stunden, 40 Minuten seit dem Start. Eigentlich wollte ich seit 10 Minuten im Ziel sein. Doch noch stackse ich hier im Dreck rum. Unendlich langsam. Also wieder Indianermethode: 10 Schritte laufen, 10 Schritte gehen. Zu anstrengend. Bisher gelaufene Kilometer übersetze ich in Schritte des Laufens, dazwischen 10 schritte gehen dürfen. "39 Schritte laufen", "10 Schritte gehen". "39 Schritte Laufen... besser die Laufschritte mal zwei: 78 Schritte laufen, 10 Schritte gehen..."

Irgendwann komme ich wieder an die Metallabsperrungen in der Innenstadt, der Fußgängerzone. Ab hier ist es nicht mehr weit, 1.5 Kilometer höchstens. Also nehm ich noch einmal alles zusammen: wenigstens unter 4 Stunden will ich bleiben, wenigstens das. Die Beine tun weh, brüllen mich an: "bleib endlich stehen, setz Dich, JETZT !" - nix da. Es reicht mir mit dem Laufen, es reicht mir aber auch mit dem Stehenbleiben. Schluss jetzt endlich. Die Abzweigung von der ersten Runde weg zum Rathausplatz. Es sind nur noch wenige hundert Meter zum Ziel. Die Menschen stehen Spalier, der "Metalltunnel" liegt im Schatten, die Hüfte sticht und alles passt nicht mehr zu der Bewegung. Ich laufe immer schneller, ich explodiere fast.


Schluss-Spurt

"Leck mich, leck mich" bei jedem Schritt, bei jedem Bodenkontakt der Fußsohlen. Alles in mir, mein ganzer Körper trompetet: HALT ENDLICH AN ! - nix da. Im Gegenteil: Ich werde immer schneller. Ich überhole noch 4 bis 5 Mitläufer, dann noch einmal 2 vor der Ziellinie. Roter Gummibelag wenige Meter vor dem Ziel. Ich bin irritiert. Der riesige Zielbogen mit der Uhrzeit noch vor mir. Genau 4:00:00 steht da, ich bin verwirrt. Die Beine kommen fast zu stehen, ich schlepp mich einfach weiter und dann bin ich durch, im Ziel.


im Ziel, 42km, in 3:55h (bereinigt), Platz 805 von 1459 Läufern

Keine Luft mehr.
Kein Atem mehr.
Kein Schritt mehr.
Gleich platz ich.

Der Spurt hat alles gekostet, jetzt geht rein gar nichts mehr.
Ich lehne mich über das seitliche Metallgitter, der Schweiß läuft mir überall hinunter, ins Gesicht, in die Augen. "Luft", "ich brauch Luft...". Einige Momente des "Nichts" vergehen, ich steh nur da und staune. Ringe nach Luft. Nach Fassung. Dann wanke ich auf eine der Helferinnen zu, die auch nicht recht weiß, ob sie es denn nun sein muss, die mir die Finishermedallie umhängt oder doch eine ihrer hübschen Kolleginen. Schließlich baumelt das Ding um meinen Hals, ich torkel weiter und entdecke auch schon Holger und Ki, die mich dankenswerter Weise im Zielraum empfangen. Da sie als Halbmarathonis ebenfalls gelaufen sind, passieren sie die Ordner ungehindert, die hier niemand außer den Läufern durchlassen.
Ki reicht mir Wasser, Holger organisiert ein isotonisches, alkoholfreies Erdinger Weißbier: GENIAL.
Ich setz mich zu Boden, lehne an einen Blumenkübel und will vor allem eins: nicht mehr weiterlaufen.

"Nie mehr wieder mach ich so einen Scheiß" denke ich, als ich wieder denken kann. "Nie mehr wieder." "Nie mehr". "Nie."

Außer im Oktober den Münchner Stadtmarathon. 42km, Zieleinlauf im altehrwürdigen Olympiastadion. "Spätestens nächstes Wochenende wieder trainieren gehn. Unter 3:30h". Vielleicht schaffe ich es im Oktober...

... comment