Sonntag, 22. April 2012
Marathon Bad Staffelstein, mit dem Rad
Um 3:45 Uhr klingelt der Wecker. Es ist Sonntag, der 15.April 2012, Betzenstein. Ich habe ohnehin nur wenig geschlafen, raus aus den Federn und meine ganzen Gebrauchsgegenstände und Utensilien im Dunst der Nacht und des Schlafes hergerichtet. Alles irgendwie "mal zwei", denn ich werde mit dem Rennrad nach Bad Staffelstein fahren, dort den ObermainMarathon laufen und dann anschließend mit dem Rad wieder nach Betzenstein zurück radeln.
Draußen ist es pechschwarze Nacht, auch keine Strassenlaternen brennen. Letzte Zweifel kommen auf, ob ich meinen Weg in dieser Dunkelheit auf dem Rad finden werde. Doch diese Zweifel zerstreuen sich später im Sattel. Die SILVA-Stirnlampe arbeitet exzellent, ich kann sie mit einem Zusatzklipp am Lenker des Rades befestigen.
Es ist sehr frisch, vielleicht 3-4°C und 04:20 Uhr, als ich mit allem Notwendigen bepackt im Sattel sitze und Richtung Bad Staffelstein aufbreche.
Etwa 80km liegen vor mir. Ich habe vor quer durch die Fränkische Schweiz zu radeln. Von Betzenstein über Pottenstein durch das Aufseßtal.
Nach den Lichtverhältnissen, die sich als prolemlos erwiesen haben, spielt die Zeit und die aufgewendete Kraft eine entscheidende Rolle. Spätestens um 8:00 Uhr muß ich in Staffelstein sein, da endet die Ausgabe der Startunterlagen. Bleiben also 3Stunden und 45 Minuten für die 80km. Bei einem Schnitt von 25km/pro Stunde müsste das locker zu machen sein. Allerdings darf ich mich dabei nicht verausgaben, denn dann reichen die Kräfte nicht mehr für den Marathon.

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Sonntag, 9. Mai 2010
Rennsteiglauf 2010 - Supermarathon 72,7km
Ich kann nicht fassen, dass es vorbei ist. Nicht nach meinem Zieleinlauf nach 7:56:31h, nicht heute, am Tag danach. "Da muß doch jetzt was kommen. Was Neues, was genau so Schönes". Gestern abend, 23:00 Uhr in der Badewanne studiere ich die Werbeprospekte, die ich mit den Startunterlagen bekommen hatte. Von einigen Bergläufen ist da die Rede, im Karwendel, Fichtelberg, Harzmarathon... Vielleicht sind meine Gedanken noch nicht zur Ruhe gekommen. Vielleicht galoppieren sie ja noch weiter, Schritt um Schritt, so wie gestern.




Freitag, 7.5.2010:
Gegen 17:30 Uhr mache ich mich auf den Weg nach Eisenach. Etwa 240km von Nürnberg aus, 2/3 Autobahn. Bamberg, Coburg und dann in den Thüringer Wald. Die letzten 80km Landstrasse. Tiefer "Osten", einige zusammengefallene Fabrikgebäude. Daneben viel Neues, viele neue Eigenheime.
Bis 21:00 kann ich die Startunterlagen am Marktplatz im Rathaus abholen, sonst wieder am Samstag, ab 4:00 Uhr.
Um 20:00 Uhr hab ich alles in den Händen und muß mich um eine Übernachtung kümmern. Hotels sind mir zu teuer. Im Auto auf irgendeinem Parkplatz in der Nähe des Startplatzes erweist sich als schwierig: alles mit Parkschein, höchtens 3 Stunden. Da Samstag der Lauftag ist klappt das so nicht.
Mit Google-Ausdrucken von Eisenach wurschtel ich mich zum Elisabeth-Gymansium durch. Hier ist die "Massenunterkunft". Für 4€ übernachten mit Frühstück, Klo inklusive. Für 2€ im überfüllten Hof parken. Mach ich - und werd im Auto schlafen. Keine Schnarcher um mich herum. Ich find buchstäblich den vorletzten freien Platz, schön am Rand, alles perfekt. Nach einigem Gewurschtel hab ich heraus, wie ich im Auto ausgestreckt und gemütlich in meinem Schlafsack nächtigen kann. Es folgt ein langes Ritual, in dem ich jeden Gegenstand des Laufes aus den Taschen finger und an eine fixe Position im Auto positioniere - damit ich morgen um 4:30 Uhr auch alles griffbereit habe und nicht mehr suchen muß.
Gegen 22:30 Uhr hab ich dann alles. Rein in den Schlafsack und versuchen zu schlafen. Lange liege ich wach, denke an den Lauf. Ob ich es schaffen werde ? - Irgendwann verstummen die Geräusche um mich herum (Strasse, Türgeklapper der anderen Parkenden) und ich falle in Schlaf bis 2:30 Uhr. Dann wieder Schlaf bis 4:00 Uhr.





Samstag, 8.5.2010
Um 4:00 Uhr stehen die 2 Läufer neben mir im VW-Bus auf. Klar, Kommunikation in voller Lautstärke. Mein Gott, ihr Heinis, habt ihr nicht gerafft, das ihr die Ersten seid ? - Klappe halten ! - Aber nichts dergleichen. Absprachen in Normallautstärke, von wegen Rücksicht. Klappern, Türe auf und zu, etc. Es ist einfach Schluss mit schlafen. Um 4:20 Uhr wühle ich mich aus dem Schlafsack.
Durch das Ritual am Vorabend hab ich alles mit wenigen Handgriffen parat. Ich werde in kurzer Hose laufen, mit meinem Ötztaler-Radmarathon-Trikot (wegen der Trikottaschen, in denen ich meine Taschentücher, meine Sonnebrille und mein Geld mitnehmen werde). Darüber meine GORE-Radweste zusammen mit den GORE-Armlingen. Auf dem Kopf, wie immer, meine ausgelutschte Adidas-Kappe.
Um die Hüfte hab ich meinen Laufgurt: eine Radtrinkflasche mit 0,7l Isogetränk, im kleinen Täschchen ein Powerbar in Cola-Geschmack, ein kleiner weiterer Powerbar in irgendwas als Reserve und zwei Power-Gels.
Auf dem Boden neben dem Auto koche ich mir eine Tasse Espresso mit meinem Gaskocher. Ein Müsli-Riegel und ein Stück Brot sind mein Frühstück, dazu noch einen Banane.
Um 5:15 Uhr fahren wir mit dem Shuttle-Bus zum Marktplatz, wo wir um 5:30 Uhr eintreffen. Eine halbe Stunde Zeit, nicht zu frieren, den Gepäckbeutel mit den Sachen für das Ziel abzugeben (Fleece-Jacke, Handtuch, Wechel-T-shirt) und sich die Mitstarter anzugucken. Nervöses Rumgelaufe in immer kleiner werdenden Kreisen. Der Platz füllt sich, bis etwa knapp 2.000 Starter eingetroffen sind. Die letzten bringen Minuten vor dem Start noch schnell ihre Beutel zu den 4 LKW mit den Gepäcktaschen...
Neben der ganz grausamen Musik (Lieder vom Rennsteig) verkündet der Sprecher auch einige Daten zu den Läufern. So ist der älteste Läufer am Supermarathon 75 Jahre alt, die älteste Läuferin 70 Jahre. Der jüngste Starter ist 20 Jahre alt, die jüngste Läuferin 24 Jahre. Und einige Läufer nehmen heuer zum dreißigsten mal am Rennsteiglauf teil... das werd ich sicherlich nicht tun.
Zum Schluss noch ein kurzes Grußwort von "was-weiß-ich-wem", interessiert mich auch nicht. Dann zählt die Menge herunter "10-9-8...." und mit dem Glockenschlag fällt der Startschuss pünktlich um 6:00 Uhr. Um 6:02 passiere ich die Startlinie, und dann gehts endlich los.

Es ist ein nasser Tag, ohne das Regen fällt. Ganz Eisenach liegt im frühmorgendlichen Nebel, die Straßen sind nass und gespickt mit Pfützen. Kalt ist es nun nicht mehr. Nach einigen wenigen Kurven durch die Innenstadt geht es gleich heraus und in den Wald. Nach wenigen hundert Metern vom Start geht es in die Steigung, die die nächsten 25km andauern wird. Eisenach liegt auf 202 MüdM, der Inselsberg bei km25,5 auf 910 MüdM. Wellenförmig steigt der Weg also bis zu diesem Punkt an. So kurz schon nach dem ersten Start in die Steigung gehen heißt aber auch, dass sich schnell ein erheblicher Rückstau bildet. Zum einen werden die Straßen schnell zu Wegen und Pfaden, zum anderen überraschen mich die meisten Teilnehmerinnen völlig damit, das sie an den Steigungen NICHT mehr LAUFEN, sondern GEHEN. Zuerst verstehe ich nichts. "Kann doch nicht sein, das bei einem Supermarathon etwa 2/3 der Läufer-Innen alles verpeilt haben und nach noch nicht mal einem Kilometer schon gehen müssen ?!?" - aber die Geher in dieser Menge müssen wohl ein System haben, Zufall kann das nicht sein. Da aber Jeder / Jede so lange läuft wie er / sie will und dann unvermittelt auf dem schmalen Weg das Gehen beginnt, sowohl links als auch rechts als auch in der Mitte, wird es schwierig, sich durch das alles durchzuschlängeln. Daher nerven mich die Geher auch in kürzester Zeit, egal welches System sie verfolgen mögen. "Alle jetzt weg da !" denke ich mir und suche mir immer winzigste Durchschlüpfe in der Menge, um eben doch nicht gehen zu müssen. Ich will in meinen Rhythmus und in dem will ich bleiben.
Also: weg da jetzt !
Himmel, ich will LAUFEN und nicht GEHEN !



Zwar habe ich von Beginn an meine Kopfhörer auf den Ohren, aber jetzt noch ohne Musik. Ich rechne mit etwa 8-9h Laufzeit - WENN ich ankomme - also möchte ich mich mit meiner eigenen Beschallung noch zurückhalten.
So langsam sortiere ich mich in meinen Rhythmus, in die Steigungen und kleinen Gefälle; ich komme an im Gelände und im Lauf. Ich kann nicht wirklich sagen, von der Landschaft viel mitbekommen zu haben. Wie ein Film läuft die Umgebung an mir vorbei. Das liegt zum einen an der Beschäftigung mit mir selber, und auch am hartnäckigen Nebel. Bis ins Ziel wird er bleiben; erst im Bus auf der Rückfahrt reist die Wolkendecke auf.
Allerdings ist der sehr schöne Wald und das ein oder andere Nebental zum Teil gut zu erkennen. Es erinnert mich stellenweise stark an der Schwarzwald, wenngleich es hier mehr Mischwald zu geben scheint. Immer wieder tauchen im Nebel großartige Eichen auf. Majestätisch laden ihre Äste aus. Der Weg verändert sich immer wieder. Kurz laufen wir über ein Wiesenstück, dann Trampelpfad, wurzeldurchsetzte Waldwege, Forstwege.



Klimatechnisch läuft es für mich hervorragend. Die Nässe nimmt der Luft die lästigen Pollen, meine Kleidung ist ideal. Die GORE Weste und Armlinge empfinde ich als überragend. Zwar haben sie schon fast unverschämt viel Geld gekostet, sind aber jeden Cent wert. Ich zippe nur leicht am Reißverschluss, und schon stellt sich die Temperatur ideal für mich ein. Weder friere ich noch wird mir zu warm. Alles prima. Sollte es regnen, so würde mich das Material auch vor dem auskühlen schützen, so fern ich nicht stehen bleibe. Werd ich aber nicht, und es kommt auch keine neue Feuchtigkeit heute von oben dazu.

An den Steigungen sortiert sich noch immer alles in Geher und Läufer, wobei die Geher klar in der Überzahl sind. Zwar nerven die mich noch immer ganz erheblich, aber langsam wird es besser mit dem Platz zum Laufen und so geht das "genervt-sein" über in leichte Freude; bergauf ist meine Stärke, und jetzt kann ich es einfach jedem Geher besorgen. Ha ! - die Wirkung der kleinen Freuden (und der kleinen Niederlagen) ist auf dieser Distanz ganz erheblich für mich.
Zwischen all den Gehern kristallisieren sich die Läufer langsam heraus. Unter ihnen auch eine junge Frau, ich schätze mal so um die Anfang Dreißig. Mit ihrer Erscheinung würde sie auch auffallen, wenn sie gegangen wäre. Schmal und schlank, blau-weißes Trikot, kurze blaue Laufhose, weiße Knielinge, Mütze und ein blond geflochtener Zopf.Die Bewegungsabläufe schienen immer gleichbleibend ruhig und harmonisch zu verlaufen, egal welcher Untergrund. Nichts schien schwierig, auch die Brille ist bestimmt nie verrutscht. Immer alles akkurat, im Lot, kraftvoll und auf Gleichklang.
Interessant war auch ihr Partner, in der Kleidung ganz das Gegenteil: Schlabber-T-Shirt, ausgebeulte Sporthose (wie früher in der Schule), und dunkle Sonnenbrille. Später begegnete mir das Paar immer wieder; am Ende waren sie einige Minuten vor mir im Ziel.
Ansonsten sind auf dem Rennsteig verdammt viele "Normalos" unterwegs. Leute, denen man ihren Willen und ihre Ausdauer nicht unbedingt ansehen würde. Leichter Bierbauch, viele im Alter wie ich oder noch älter. Hier bewahrheitet sich der Spruch, wie er auch auf dem Rennrad gilt: alte Leut' mit silbergrauen Haaren und allerwelts-Sportmaterial von vor 30 Jahren sind mit die schärfsten Konkurrenten. Ihre Optik entspricht in keiner Weise ihrem Leistungsvermögen. Statt zappeliger Hektik mit pseudosportlichen Vorbereitungen und Halbwissenschaften gehen da Erfahrung an den Start. Es hat durchaus etwas von "in der Ruhe liegt die Kraft", auch wenn das bei einem solchen Ausdauer- Sportgroßereignis etwas komisch klingen mag. Schließlich ist alles voller Elan und Bewegung.

Der Lauf auf dem Rennsteig verschwimmt für mich in eine zeitlich nicht näher zu definierende Blase aus Erinnerungen an Gefühle und Zustände, nicht aber in Kilometerabschnitte oder Landschaftspunkten.
Kurz gesagt gab es einfach verdammt viel Wald um mich herum. Wunderschönen Wald, der kaum durch Straßen oder Ortschaften unterbrochen wurde. In diese Szenerie eingepflanzt ist ein Bild von gleichmäßig schnell laufenden Menschen um mich herum, von denen ich meist die Füße in Erinnerung habe. Ein pulsierendes Etwas um mich, ich selber auch im Puls von Bewegung, Atmung. Rundes Laufen, nichts als Laufen.

In der Vorbereitung auf den Lauf habe ich nur einen Bericht im Internet gelesen; dort lief ein etwas Jüngerer in einer etwas schnelleren Zeit, 7:30h glaube ich, auch zum ersten mal. Er beschreibt dort, "irgendwann trennt sich der Geist vom Körper. Während unten der Körper ganz mit Arbeit und mit Laufen beschäftigt ist, hebt der Geist ab und betrachtet das Ganze aus einer anderen Perspektive...". So oder so ähnlich hat er es formuliert. Ich konnte mir das gut vorstellen, und so ein wenig habe ich auf diesen Moment dann immer gewartet. Doch während des Laufes habe ich es so nicht empfunden. Ich war viel zu beschäftigt. Nicht nur damit, einen Fuß vor den anderen zu setzen, sondern mit einer Unzahl von Bagatellen und Kleinigkeiten, die aber wiederum alle ganz wichtig sind und unmittelbar auf das Laufgefühl ausstrahlen: die Kappe zurechtrutschen, einen Schluck trinken (dazu die Flasche während dem Laufen aus der Halterung angeln und anschließend wieder sicher hinein), ein Stück Powerbar abbeißen und langsam zergehen lassen, die Kilometertafeln im Auge behalten, im Trikot nach der Plastiktüte fingern, in der das Geld und das Rückfahrtticket sitzt, die unmittelbare Wegstrecke einschätzen und Hindernissen ausweichen (Steinen, Wurzeln, Pfützen), den Puls kontrollieren, die Weste ideal temperieren durch den Reißverschluss, den Rotz aus der Nase pusten und dabei vorher umsehen, dass niemand getroffen wird. Die nächste Versorgung anvisieren und kurz vorher noch ein Stück Powerbar abbeißen, damit man dann gleich mit Wasser oder Tee nachspülen kann. Die Zeit vergleichen und in etwa hochrechnen, welche Finisherzeit momentan dann zu erreichen wäre. Bäume angucken, Mitstreiter angucken, in sich horchen. Gedanken nachhängen. Sich selbst motivieren.



Bis zur Mitte des Rennens wollte ich ohne großes Denken erst mal einen normalen Marathon bewältigen (also km42) und mir dann Gedanken über das Neuland machen, in das ich mich da bei den weiteren 30km begeben habe.
Ziemlich genau in der Mitte gab es eine Versorgungsstation auf einer Wiese, bei der ich zwar alles noch im Laufschritt geangelt habe, ohne anzuhalten, aber kurz nach dem Verzehr dann bewusst angehalten habe und mir einen Baum abseits zum pinkeln aussuchte. Da war mir zum ersten mal klar, dass ich zumindest die Marathondistanz klar erreichen werde, und das ich überdies noch sehr gut dabei bin: ich fühlte mich angestrengt, aber grundsätzlich prima. Keine Beschwerden, kein Drücken, kein nichts. Einfach Wald und Laufen. Also weiter.

Die blonde Läuferin begegnete mir immer wieder. Einmal hielt sie am Wegesrand und schaute "not amused" nach hinten, wo ihr Partner/Begleitschutz abgeblieben sein möge. Sie band ihren Schuh neu und überholte mich später wieder mir ihrem Partner. "Wipp wipp wipp", wie auf den ersten Kilometern. Faszinierende Gleichförmigkeit und Ästhetik in der Bewegung. "WIPP WIPP WIPP" und weg, verschwunden aus dem konzentrischen Kreis der Bewegungen um mich herum und in mir drin. Verschluckt im Wald und im Nebel.

Mit anderen Läufern teilte ich mir ein Stück des Weges, ohne es zu wissen. Man sieht sich, begegnet sich; man erkennt sich an der Kleidung, am Laufstil. Wer konnte an der letzten Steigung noch an mir vorbeigehen, wo sehe ich den wieder, wo kann ich ihn oder sie sogar noch einholen.
Eine andere Läuferin hatte zum Beispiel den Schriftzug "ich folge Jesus" auf ihrem Laufhemd stehen. Hinten drauf. Ich sah es erst, als sie mich überholte. Spontan dachte ich mir "ich nicht !", aber warum auch nicht. Warum sollte man nicht Jesus auf dem Rennsteig folgen. Ich freute mich, als ich die Läuferin wieder überholen konnte (und ich könnte im Nachhinein schwören, ich hörte dabei METALLICA "and nothing else matters...") und sie zog einige Kilometer vor dem Ziel, so etwa bei km55 wieder an mir vorbei. Endgültig. Sie war eindeutig schneller als ich.

Inzwischen haben sich die "Nordic-Walking-TeilnehmerInnen" auch auf der Strecke des Rennsteiges unter die Läufer gemischt. Wie kleine Wandertrupps sind sie unterwegs, manche mit Sportausrüstung und ausladenden Schritten, manche joggen sogar ein Teil des Weges. Nurmehr alle 5 Kilometer trägt ein Schild die Anzahl der zurückgelegten Entfernung.
Nachdem auch die Walkergruppe aufgetaucht, mitgelaufen und "tröpfchenweise" wieder aus meinem Sichtfeld verschwunden ist, wird es wieder ruhig in mir. Ich bewege mich irgendwo zwischen km50 und km60. Langsam und allmählich wird es hart. Ich ertappe mich dabei, dass mein Blick immer häufiger zum (begrenzten) Horizont eilt. Das ist für mich ein sicheres Zeichen für Gedanken wie "wie weit ist es noch ?". Diese Gedanken zersetzen die Bereitschaft, im Lauf zu bleiben, drann zu bleiben und nicht anzuhalten. Deswegen tilge ich sie gleich wieder aus dem Bewusstsein. Ich seh nicht nach vorn sondern nach unten auf den Boden vor mir. Ich höre in die Musik hinein, die ich auf dem Kopf habe und blicke seitwärts, um mir die Bäume anzusehen.

Wenn nun kleinere Steigungen auf der Wegstrecke auftauchen, dann beginnen alle Läufer um mich, aus dem Laufen in das Gehen umzuschalten, bis die Steigung überwunden ist. Auch ich mache das so inzwischen. Fast schon sind mir die Steigungen mit dem Gehen willkommen, denn sie verweisen: GEHEN dürfen. Allerdings wird es immer anstrengender, aus dem Gehen wieder in Laufen zu wechseln. An einigen Stellen der Beine spüre ich, wie sie müde werden. Sie tun, was ich ihnen sage, aber sie melden zurück: "nun is aber auch bald mal gut". Keine Schmerzen, keine Belastungen, dumpfe Müdigkeit steigt in ihnen zu mir hoch in den Kopf. Auch das: gleich wieder tilgen. Erst gar nicht zulassen. Weg mit dem Gedanken. "Ich laufe. Ich werde laufen. Weiter..." und sofort wieder in den Lauf. Noch vor den anderen an der Steigung. Ich nehme mir vor, an der nächsten Steigung nicht wieder ins Gehen zu verfallen.

Irgendwann läuft "CREED" auf meinem IPOD, mit dem Lied "time". Obwohl es meine Atmung gefährlich aus dem Rhythmus bringen kann, kann ich nicht anders: stellenweise singe ich während dem Laufen mit, so laut wie ich kann:

"pieces of me i have lost...
without any choice i am the one...
hey time, you 're no friend of mine...

its so very clear,
you left me with noone at all...

will you be there when i stumble when i fall

who will be there
to catch me when i stumble, when i fall, when i fall...

this time i have nothing left to lose...

hey time, you're no friend of mine..."

Nach km60 komme ich an eine kleine Versorgung an einem Holzhäuschen im Wald. Breiter Waldweg, "Waldautobahn". Nur zwei, drei LäuferInnen vor mir. Am Häuschen die nette Versorgung und eine Familie mit ihren kleinen Kindern. Sitzen dort auf einer Bank und staunen über die Menge, die hier schon durchgetrabt sein muß. Das kleine Kind sitzt in der Kraxe, am Boden. Offenbar ist der Kleine eingeschlafen, die Augen geschlossen, der Kopf zur Seite geneigt. Wie Hannah und Sophie, damals bei uns. Das große Kind, ein Mädchen von 5-6 Jahren sitzt auf der Bank neben ihrem Vater und ißt irgendwas. Brötchen mit Wurst, so wie bei uns. Als ich zur Szene komme, nach Tee und Wasser hastend bei der Versorgung, schnell alles in mich reinkippe und mich schnellstmöglich weitermachen möchte, fällt mir die Familie auf; besonders das kleine Kind in der Kraxe. Eingeschlafen. Mitten im Wald, in der Kraxe. Wald, Nebel, Nässe. Tausende Verrückte, die durch den Wald hasten. Das Kind in Sicherheit. Eingeschlafen. irgendwie würde ich dem Vater nun gerne sagen, das er gerade dabei ist, mit seinen Kindern das eigentlich wesentliche im Leben zu erleben. Ich versuche einen Satz zu bilden wie "das ist eigentlich das Wesentliche" (und nicht das was ICH gerade hier mache). Aber statt Worten kommt nur ein dicker Klos in mein Hals. Tränen steigen mir in die Augen. Ich muß schnell weiter, ohne ein Wort. Trotzdem steigen die Tränen noch in mir auf, ich kann es nicht verhindern. Das Kind in der Kraxe verfolgt mich in Bildern, das Wort "das Wesentliche". Ich trabe weiter, versuche mich wieder in den Lauf zu bringen. es fällt mir schwer. Nicht nur körperlich, auch innerlich. Ich merke: wenn mich dieses Bild des Kindes so zum wanken bringt, dann hab ich auf den 60-65km schon ordentlich Federn gelassen; dann hat es mich mehr gekostet, als ich eigentlich gewahr geworden bin.
Weiter. Schnell weiter. Laufen, laufen, laufen...
Dennoch nehme ich dieses Bild in mir mit. Es ist eine wesentliche Situation des Laufes, des Ganzen.
Fast beruhigend monoton zieht der Weg mich wieder in seinen Bann. Fuß vor Fuß, durchaus anstrengend und kräftezehrend. Aber auch beruhigend. Die Bewegung hat etwas beruhigendes. Das Atmen wird zum atmen. Nicht eine Beiläufigkeit, keine Nebensache. Wesentlicher Bestandteil von mir. Hier und jetzt. Dazu kommt die Bewegung des Laufens. Schritt um Schritt. Kombination mit Atem. Aus der Symbiose von Laufen und Atmen ergibt sich ein Gefühl von "Leben" schlechthin. Sicher passt auch gut dazu, dass ich noch nie in meinem Leben so weit an einem Stück gelaufen bin. Ob ich es nun noch vollends schaffe oder nicht, so weit jedenfalls war ich noch nie. Luft einsaugen, Laufen, Luft ausatmen. Diese Abläufe wirken auf mich nicht langweilig oder monoton. Sie fühlen sich an wie der Puls, wie der Fluß, wie der Strom. Wenn darüber gegrübelt wird, welchen tieferen Sinn das Laufen haben mag ("sind alle auf der Flucht vor sich selbst"), dann mag hierin ein ganz wesentliches Sinnempfinden für mich liegen: es lebt. Das Laufen lebt mich.

Die letzte Versorgung bei km65 wird angesteuert, Großwiese / Großparkplatz, Stadionsprecher und Versorgung. Ich stopfe noch irgendwas Letztes in mich, versuche noch immer, nicht stehen zu bleiben. Klappt nicht mehr ganz. Da ich das Schild mit "65" noch nicht gesehen habe, frage ich Passanten, wie weit es denn eigentlich noch sei bis zum Ziel. "8km, fast nur runter" ist die Antwort.
"Scheißdreck" denke ich mir und höre ich mich plötzlich auch laut ausprechen. Nicht weil es noch 8 km bis zum Ziel sind, sondern weil es noch 1,5km bis zum Schild mit "65" sind.



die letzten 3 Kilometer:
Während ich bisher so gut wie nie auf die Uhr geschaut hatte, wird sie auf den letzten Kilometern doch noch außerordentlich wichtig für mich. Vom Gelände her geht es nur noch bergab; wir kommen aus dem Wald heraus, die Zielortschaft Schmiedefeld liegt zu unseren Füßen, ist klar zu erkennen. Dennoch geht es in einem Bogen um die Ortschaft herum, um ins Zielgelände zu gelangen.
Eigentlich wollte ich die letzten Kilometer im gleichen Tempo weiterlaufen wie bisher. Keine Änderung des Systems. Bergab schwimme ich vorne in den Schuhen, sicheres Zeichen für die Wasserblasen, die sich an den Zehen gebildet haben. Ab km70 steht wieder jeden Kilometer ein Schild zur Orientierung. Als ich dieses Schild endlich passiere zeigt meine Uhr etwa eine Laufzeit von 7 Stunden und 45 Minuten an. Da ich unverbraucht und gut in Form für EINEN Kilometer etwa 5 Minuten brauche (=12km/h) wird mir schnell klar, dass es mit der Zeit unter 8h SEHR SEHR eng werden wird. Schließlich bin ich recht ausgelaugt und eigentlich auch gedanklich schon am Ende und im Zieleinlauf. Dennoch liegen noch 2,5km vor mir. Nach 70km Laufpensum sind 2,5km ein Witz, aber nicht, wenn man es plötzlich eilig hat.
Widerwillig gebe ich noch einmal Gas, werd schneller. Noch immer zwischen Wald und Ortschaft queren wir eine Strasse, geht es bald Richtung Ziel. Bereits abgeschlossene Läufer kommen mir vereinzelt entgegen, es kann nicht mehr weit sein. Wann soll ich ansetzen zum endlichen Schlußspurt ? - Ich hatte gedacht ab km71, aber das sind dann noch immer 1,7km bis ins Ziel. Noch 1,7km und ich gebe bereits alles aus dem letzten Korn, was ich noch habe. Wieder treibt es mir die Tränen in die Augen, noch immer einen Kilometer zu Laufen. Ich passiere einen aufgeblasenen Bogen für die Läufer: "Ab hier noch 1.000m bis zum schönsten Ziel der Welt !"
Bisher haben die Beine immer gemacht, was sie sollten. Den Befehl "alles raus !" scheinen sie nicht mehr zu hören. Ich will immer noch schneller werden, aber tatsächlich verkleinert sich der Abstand zu den Läufern vor mir nicht mehr. Entweder sie werden auch schneller, oder ich bleibe trotz aller Bemühungen im gleichen Kriechgang hängen.

Dann höre ich die Sprecher im Zielgelände, und langsam formiert sich am Horizont der Zielbogen, das Zielgelände. Die Zuschauermenge nimmt zu, es komprimiert sich zum Zieleinlauf. Die Route der Supermarathonis fält kurz vor Zielschluß mit der der Marathonis zusammen. Ich spurte rechts, die Marathonis links. Klar versuche ich, meinen Namen in der Ansage auszumachen. Ich spurte nun, mehr geht beim besten Willen nicht. Atmung, Bewegung, Luft, Flüssigkeit, nun alles egal. Alles fliegt irgendwie dem Ziel entgegen, jeder Meter näher "mein Gott, wie weit noch ?!?".

Dann ist sie da, die Ziellinie. Ich durchrenne sie, bleib gleich danach ohne Atem stehen, halte mich an den Knien fest. Stimmengewirr, Mädls überreichen Medallien. Wieder stehen mit die Tränen in den Augen. Langsam sickert es zu mir durch: ich bin im Ziel. Ich habs tatsächlich geschafft. 72,7km gelaufen. 7:56:31 meine Zeit. Mit "7", ohne "8".
Ich gehe zur Seite, lehne mich an eine freie Stelle des Absperrungsgitters, lasse das Herz und die Atmung auch ankommen. Unglaublich. Ich bin da. Ich habs wirklich geschafft. Der Spurt am Ende hat noch was genützt, ich hab es unter 8h geschafft. Gaby hatte 10 Stunden prophezeit. Ich hab 7:56:31. Diese magische Zahlen. Nun also doch, am Ende des Laufes. Hat er seine Bedeutung in Zahlen bekommen, die er während des ganzen Laufes nicht hatte. So sind sie zum i-Tüpfelchen geworden.



Unendlich langsam bewege ich mich zu meinem Beutel, den ich mühsam auf dem Feld suchen muß (bei tausenden anderen Beuteln), finde den Weg zu den Bussen und komme sogar noch an einem kleinen Stand mit Kaffee und Kuchen vorbei. Einen Becher schwarzen Kaffee, heiß, im Gehen, endlosen langsamen kriechen. Meine Beine tun mir weh, aber ich krieche weitere hunderte Meter Richtung der Busse, die mich nach Eisenach zurückbringen werden. schwarzer Kaffee, herrlich.
Meine Urkunde und mein Finisher-T-shirt hab ich auch noch bekommen.





Ich erinnere mich an einen Moment während des letzten Spurtes auf 3km. Ich konnte die Spannung kaum noch aushalten, alles gegeben zu haben und dennoch noch nicht am Ziel zu sein. Bäume, Schranken und schließlich Häuser "flogen" an mir vorüber. Plötzlich dachte ich da "ganz bestimmt mach ich so etwas nie wieder...". Und noch eine halbe Sekunde später setzte ich in Gedanken hinzu "obwohl: das würd ich nun nicht mal sagen !".

Heute, am Donnerstag, 5 Tage nach dem Rennsteiglauf, hab ich mit Hannah meine Standardrunde von 11,3km gelaufen. Sie auf dem Kinderrad, ich zum ersten mal wieder in den Laufschuhen. Das Wort "wesentlich" fiel mir wieder ein.
Ich kann nicht sagen, was ich nächstes Jahr um die Zeit machen werde. Wie fit ich sein kann und wie sich alles entwickelt. Aber die 72,7km auf dem Rennsteig waren ein unvergleichliches Erlebnis. Der schönste Lauf, den ich bisher je gemacht habe. Äußerlich und Innerlich.
Wenn es mir möglich ist, werd ich nächstes Jahr wieder dort hin fahren. Wieder 72,7km. Wieder Wald. Wald, Wald und laufen und laufen und laufen.

Doch, ich freu mich schon drauf.

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Freitag, 23. April 2010
Obermain Marathon 2010
Am Sonntag, den 18.April 2010 fiel um 9:10 Uhr der Startschuss zum 6. Obermain Marathon in Staffelstein, in der Fränkischen Schweiz.

Es war für mich der erste "familienintegrierte" Marathon, denn Sophie und Hannah hatten wir am Samstag auf der Fahrt nach Staffelstein in Betzenstein bei Erika abgeladen. Wir gönnten uns ein kinderloses Wochenende, wovon der Marathon am Sonntag ein Teil gewesen ist.

Das Wetter war hervorragend. Strahlend blauer Himmel; in der Nacht hatte es noch gefroren, um 9 Uhr muß es etwas um die 5°C gehabt haben. Jedenfalls war es "sehr frisch" am Start. Ich trudelte etwa 30 Minuten vorher dort ein und lief ein wenig hin und her, um nicht auszukühlen. Viele wärmten sich auf, in dem sie etliche Runden um den Startbereich liefen. In ganz verschiedenen "Trachten", mit "Munitionsgurt" in Form von kleinen Trinkfläschchen und was-weiß-ich-was. Viele Läuferinnen standen ebenfalls dort, genau so wie einige Läufer offensichtlich ihre Hunde mit auf die Strecke nahmen.
Nach dem Start der Halbmarathonis um 9:00 Uhr lichtete sich das Feld deutlich, und mit mir gingen dann pünktlich um 9:10 Uhr weitere 320 StarterInnen auf die 42km-Runde.

Zum ersten mal in diesem Jahr lief ich mit kurzen Hosen; ich hatte mein Laufshirt an, darüber meine GORE-Radweste und das wars. Ich hatte noch kurz überlegt, die Armlinge vom Rennrad ebenfalls zu verwenden, aber den gedanken verwarf ich recht schnell wieder (wohin mit den Dingern, wenn es warm genug ist ?).

Wir verließen als Läufer schnell die Neubausiedlung von Staffelstein und liefen auf gesperrten Landstrassen in Richtung Kloster Banz.
Nach etwa 4 Kilometern verließen wir die asphaltierten Strassen und es ging auf Schotterwegen in den Wald - und hinauf. Inzwischen hatte ich meine Betriebstemperatur erreicht, ich fühlte mich trotz verstopfter Heuschnupfennase pudel wohl und kam richtig in Fahrt. Ich genoß den Lauf und freute mich richtig über die ersten Steigungen. War ich absichtlich ganz hinten im Feld gestartet und die ersten Kilometer mehr oder weniger mitgetrabt, so zog es mich nun förmlich den Berg hinauf. Die Steigung war moderat aber kontinuierlich, es war am Morgen, im Wald, darüber blauer Himmel. Hier hatte der Veranstalter zahlreiche Sinnsprüche auf Tafeln laminiert, im Sinne von: "...." ich weiß es nicht. Ich hatte meine Sonnenbrille auf (wegen der Pollen), die meine Sehschwäche nicht korrigiert. Daher konnte ich schlicht nicht lesen, welche Gedanken hier an mir vorbei zogen. Aber ehrlich gesagt, es war mir auch egal. Ich war in mich selbst versunken, in meinen Lauf, in die herrliche Landschaft und in meine Musik (IPOD).

Auf einer Anhöhe oberhalb des Klosters gab es die erste Versorgung, bei der ich mir im Laufen einen Becher Apfelsaftschorle und Wasser schnappte, die Hälfte verschüttete und die andere Hälfte irgendwie zwischen Mund und T-shirt schüttete.
Egal, weiter.

Es ging bergab, in langen Bögen, hinunter zum Main, über ihn hinüber, in langer Talquerung schließlich hinauf zur Kirche "Vierzehnheiligen", bei Kilometer 15 etwa.

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Freitag, 25. April 2008
RheinEnergieMarathon in Bonn
Ich habe gesucht und gesucht und gesucht. Ich habe probiert und in mich hinein gehorcht aber nichts gehört. Ich habe gedreht und gewendet aber keinen neuen Blickwinkel erreicht. Als mir gar nichts mehr einfallen wollte, habe ich einfach nur gezählt. Meine Schritte. Ich habe die bereits gelaufenen Kilometer als Zahl genommen und mir als Schlagzahl für den Intervall zwischen Laufen und Gehen gesetzt: "38 Kilometer habe ich bereits, also 38 Schritte Gehen dürfen, dann 38 Schritte Laufen müssen, am Besten gleich mit Faktor 2 oder 3 multiplizieren und dann wieder 38 Schritte zur Erholung gehen dürfen... ach halt: ich bin ja inzwischen bei km39. Also 39 Schritte gehen dürfen..."

Mit der Reduktion auf Zahlen und einzelne Schritte ging es dann irgendwie. Tatsächlich habe ich jeden Meter verflucht, der zwischen km36 und dem Ziel bei km42.125 gelegen hat. Ab km39 war es mir physisch und psychisch nahezu unerträglich, und ich wollte schlichtweg nicht mehr. Kein bisschenkeingarnichtmehrnullkommagarnichtsmehrnullingernull mehr wollte ich noch. In dieser Leere des "nicht mehr Wollens" fiel dann tatsächlich ein "vergessen", so das ich nicht mehr sagen kann, wie der letzte Kilometer dann doch noch funktioniert hat. Irgendwie muss ich ihn gelaufen sein, aber im Vergleich zu dem Kilometern zwischen km36 und km41 löste sich der letzte dann in der Erinnerung in Luft auf. Zwar kann ich mich genau an die Örtlichkeiten und das Aussehen des Letzten erinnern, aber nicht, wie ich ihn hinter mich gebracht hab. Gezählt habe ich jedenfalls nicht mehr, dessen bin ich mir sicher.


Streckenverlauf durch die Innenstadt von Bonn

nach dem Ötzi 2007 ...
entstand bei mir ein Motivationsloch größeren Ausmaßes. Es stand kein neuer Ötzi in Aussicht, Markus und Holger hatten auch keine klaren Ziele, also trieb ich so dahin. Mit dem Rad zur Arbeit und manchmal ne Runde gelaufen, das wars. So halt. Ohne Ziel.
Auch die diversen Versuche, Markus und Holger auf eine Sportidee für 2008 "anzufixxen" und damit endlich wieder auf ein Ziel hin zu trainieren funktionierte nicht. Es ergab sich nicht.
Also reduzierte ich meine Suche auf mich selbst und kam zurück zu den Wurzeln meiner sportlichen Wiedergeburt nach dem gesundheitlichen Raubbau des Rauchens vor 9 Jahren: dem Laufen. Meinen letzten Marathon bin ich vor 3 Jahren in der Nähe von Nürnberg gelaufen. Knapp unter 4 Stunden, mit 10,5km/h im Schnitt. Dann kamen verstärkt die Radmarathons und das Laufen verschwand etwas aus dem Blickwinkel. Die Zeit war nun also reif, an die Laufmarathons wieder anzuschließen.
Über das Internet suchte ich mir einen Lauf der recht früh im Jahr angesetzt war und kam auf den Düsseldorfer Marathon, den ich 2003 schon einmal gelaufen war. So konnte ich den Lauf mit einem Besuch bei Holger und Ki verbinden. Aus welchem Grund sollte man auch sonst da hoch fahren, zieht es mich (und Holger) für den Sport doch sonst in die andere Richtung, in die Berge...
Irgendwann vor dem Jahreswechsel meldete ich mich spät nachts nach 2 oder 3 Bier online in Bonn an, nachdem Holger mir von Düsseldorf abgeraten hatte ("Düsseldorf.... neeeee") und Bonn viel näher von ihrem Haus aus zu erreichen sei. Also gut, dann eben Bonn. Eh wurscht.
Da man einen Marathon nicht "einfach so" läuft - jedenfalls ich nicht - nahm ich mir ein Trainingspensum von mind. 100 Trainingskilometern im Monat vor, was ich neben dem Radln auch tatsächlich umsetzen konnte.
Im Vergleich zu früher jedoch haben mir die Trainingsrunden nicht mehr so den Spaß gemacht. Das berühmte "runners-high", bei dem man und frau beim Laufen vor lauter Glück und Euphorie regelrecht über den Asphalt schwebt und die Kilometer nur so zerschmelzen, das kenne ich zwar noch, hat sich aber in der Vorbereitung nie eingestellt. Im Gegenteil. Das "runners-high" hatte ich am Morgen des nächsten Tages: als ich wieder im Sattel meines Rades auf dem Weg zur Arbeit gewesen bin.

zwei Wochen vor dem Marathon
wollte ich durch einen Sololauf durch den Wald mit 34km eine Runde hinlegen, die meinen Zweifeln und meiner Psyche beweisen sollte, problemlos auch die magischen 30km zu durchbrechen. Leider endete diese Runde aber im völlige "Fiasko": nach 24km musste ich aus dem laufen heraus und konnte nur noch gehen. Es kam mit der Sonne die Wärme, ich war zu dick angezogen und hatte nur 0,2l Wasser dabei und quälte mich "ellenlange" 7km wieder nach hause. Frustriert, fertig und 2 Wochen vor dem Marathon mit einem verdammt schlechten Gefühl. Meine Analyse ergab: zu schnell los gelaufen, zu warm angezogen, zu wenig zu trinken und zu wenige Trainingskilometer.
3 Tage später lief ich meine Haustrainingsrunde von 11,8km in 56min, das entspricht einem Tempo von 12,3km/h. Zudem hatte ich mich erst bei genau der Hälfte der Runde zum Rekordversuch entschlossen und war hinterher um so mehr von meinem Leistungsvermögen wieder überzeugt. Zwar hatte ich auch hier keinen "runners-high", aber es fühlte sich gut an, so schnell so ausdauernd zu Laufen. Es machte Spass, der üblichen Runde an jeder Ecke ein paar Sekunden abzunehmen und zum Schluss noch guter Dinge zu sein. Sportliche Höchstleistung kann schon gut stimulieren und gewaltig motivieren.

der Start in Bonn
war um 10:30 Uhr. Holger und Ki waren zuvor um 8:30 Uhr den Halbmarathon mit 6000 anderen Teilnehmern gelaufen, nun stand ich mit 1500 anderen am Start.
Das Wetter versprach Sonne bei bis 20°C, aber seit dem frühen Morgen hatte es nicht aufgerissen, es ging ein lausig kalter Wind und alles fror und schnatterte um mich herum, wartete auf wärmende Sonnenstrahlen, die nicht kamen. Da man beim Marathon kleidungstechnisch recht festgelegt ist, standen eben alle mit "etwas zu wenig" am Start.
10:15 Uhr konnte man endlich in den Startbereich und der Sprecher versuchte die Meute anzufeuern und zu motivieren, was nicht recht gelang. Aus Nervosität bewegte ich mich auch etwas hin und her - soweit möglich in dem abgesperrten Startareal der Straße - vermied aber, mich zu sehr zu bewegen. Da wäre mir zwar wärmer geworden, aber ich halte das für Unsinn am Beginn von 42 Laufkilometern: später ist man auf jedem Zentimeter Strasse froh an der Energie, die der Körper noch zu bieten hat. "Aufwärmen" kann man sich auf den ersten Metern und Kilometern des Laufes.
Die letzten 10 Sekunden zählten dann alle um mich herum lautstark herunter, dann knallte der Startschuss durch die Menge, Pulsmesser piepsen, Läufer werfen ihre Pullover den Zuschauern zu und wollen loslegen... und es passiert: NICHTS. - Keiner geht, keiner kann nur einen Zentimeter vorwärts. Minutenlang. "Hach, wie ich das hasse...". Erst später kann ich realisieren, das hier in Bonn in "Intervallen" gestartet wird. Die erste Gruppe, der erste Startblock läuft los, dann eine Minute Pause, dann der Nächste, und so weiter... und so weiter...
Mit 5 Minuten Verspätung gehts dann aber endlich auch mal los für mich... ENDLICH ! - Los etz !

Nach dem ersten Kilometer
geht es gleich auf der Kennedybrücke über den Rhein. Hier stehen noch viele Zuschauer und applaudieren uns Läufern kräftig zu. So langsam kommt der Körper auf Betriebstemperatur, die Laufschritte werden regelmäßiger und die Unruhe des Startens zerrinnt langsam unter den Füßen.
Ich habe oft versucht, mir die richtige Strategie für diesen Lauf zu überlegen. Sicherlich nicht zu schnell laufen am Anfang, gerade da nicht. Auch wenn die Motivation und die Aufregung noch am Größten sind. Am Anfang eher bremsen, um in den richtigen Rhythmus zu gelangen, der auch 42km trägt.
Auf der anderen Seite ist es mir nicht möglich, während dem Lauf noch einmal die Geschwindigkeit noch oben zu korrigieren. Laufe ich also zu langsam los und merke nach etwa der Hälfte der Strecke "es wäre noch mehr drin", dann führt die Beschleunigung zu einem veränderten Atmungsrhythmus, der wiederum das eingespielte Gleichgewicht aus Atmung, Herzfrequenz und Schrittfrequenz völlig durcheinander bringt und bei mir in der Regel mit "gehen müssen" endet. Also sind all die leichten und dahinfliegenden Schritte am Anfang des Rennens ein Tanz um die "richtigen" Pegelwerte, ein Balanceakt zwischen "zu langsam" und "zu schnell".
Nach km3 bis km4 pendelt sich mein Tempo ein: ich laufe mit exakt 12km/h die Stunde, mein Puls zeigt 155 bis 160 Schläge pro Minute. Nicht zu langsam, hoffentlich nicht zu schnell. Derzeit ideal, ich fühle mich pudelwohl. So kanns bleiben. Ab jetzt einfach Autopilot einschalten, nichts mehr denken und nur noch Laufen. (Auf der Strecke ist jeder Kilometer durch einen Tafel markiert. Wenn man sich die Zeit zwischen den Markierungen stoppt, lässt sich die Geschwindigkeit ermitteln. Bei genau 5:00 min pro Kilometer ergibt sich eine Geschwindigkeit von exakt 12,00km/h).

Bei km4, unmittelbar vor der ersten Wende, ist die erste Versorgung aufgebaut. Auf vielen Biertischen ("hihi") ist zuerst Platz für die Spezialisten, die ihre eigene Versorgung zum Rennen mitgebracht haben und dort deponieren können. Dann kommen die Tische mit dem Wasser, den Isogetränken, dann Cola und zum Schluss Bananen. Alle Getränke werden in Plastikbechern gereicht: Helfer halten einem das Getränk entgegen, und man kann gut per Kopfnicken gestikulieren, ob man das möchte oder nicht.
Für die erste Verpflegung habe ich mir vorgenommen,nichts aufzunehmen. Ich möchte durchlaufen und mir meinen idealen Rhythmus, den ich inzwischen gefunden habe, nicht vermurksen lassen. Außerdem habe ich nach 4km noch keinen Durst und bin noch gut drauf. Also weiche ich auf die andere Straßenseite aus um dem Rummel zu entgehen und lauf einfach durch. "Doch, doch. Ich fühl mich großartig !".

ein Novum
bei diesem Marathon war die Schülerstaffel. Hierbei waren etliche Schüler unterschiedlichsten Alters auf der Strecke unterwegs. Sie liefen einige Kilometer - je nach Alter und Leistung - und wurden dann ausgewechselt. Das Ganze war auch perfekt organisiert, einige hundert Meter vor der Wechselstation standen Helfer und gaben per Funk an die Wechselstation weiter, welcher Schüler bzw. welche Schülerin als nächstes in wenigen Sekunden eintreffen würde.
Alle Schüler hatten ein farbiges Band am Körper und waren so gut zu erkennen.
Mir ging es mit den Schülern ganz unterschiedlich: einerseits wollte ich gerade am Anfang den ein oder anderen gerne motivieren und auf die Schulter klopfen oder was zu trinken reichen oder wie auch immer helfen. Schließlich find ich es genial, wenn Kinder und Jugendliche diesen Alters sich für den Sport interessieren. Nicht wenige von ihnen gingen schon vor Ende des zweiten Kilometers, mit den Händen in die Hüften gestemmt und mit hochrotem Kopf. "Naja", denke ich mir "so würde mir Sport dann auch keinen Spaß machen...".
An den Engstellen des Streckenverlaufes fand ich es gleichzeitig auch oft sehr hinderlich. Plötzlich stackste einem ein "Knopf" vor den Füßen herum, wendete plötzlich nach links oder rechts, bleibt unvermittelt stehen und ringt mir den ein oder anderen stillen Fluch ab.
"Hähähähäää" denke ich mir manchmal am Anfang des Laufes, "hat man jemanden zum überholen." - was sich aber gegen Ende des Rennens völlig verkehrte: dann war ich das "Überholfutter" für die Schüler, die frisch ausgeruht in ihrer Staffel irgendwo aus der Ecke sprangen und fluggs an den alten Säcken vorüber preschten, die mit ihrem eigenen Leiden all zu sehr beschäftigt waren... "herrje", "fuck,fuck,fuck. Selbst von Kindern wirst Du hier noch fertig gemacht, unglaublich. Alter Mann, geh heim." dachte ich mir dann.

die erste Runde
endete ziemlich genau wieder in Höhe des Rathausplatzes nach 21km. Auf dem Weg durch die Fußgängerzone waren die Läufer durch Metallgitter von den Zuschauern geschützt - oder umgekehrt - und man lief wie Vieh beim Almabtrieb durch die Meute. Ich suchte mit den Augen schon einige Zeit vorher immer wieder den Rand nach der Tafel mit der "21"ab, aber sie wollte und wollte nicht kommen. Das war so der erste Moment, bei dem ich mich nicht mehr recht wohl in meiner 12km/h-Haut fühlte. Zwar war mein Puls beständig bei 160 geblieben - ein sehr guter und verlässlicher Wert für mich - aber ich merkte an Details, das ich nicht mit 42km zurecht kommen werden würde: ich spürte es und wollte und konnte den Gedanken daran nicht zulassen. Während ich durch die Metallbahn spurtete, spürte ich, wie zunächst meine Schritte immer etwas unsicherer wurden. Nur in minimalen Kleinigkeiten, in Details, aber spürbar. Die Hüfte spannte sich zunehmend an. Zwar war das noch kein Seitenstechen, aber die Vorstufe dazu. Ich versuchte durch besonders intensives und langes Atmen hier wieder Entspannung herbeizuführen, aber das gelang nur teilweise. Erstens war der Gedanke nicht zu verjagen, es "so" nicht in diesem Tempo zu Ende bringen zu können und zweitens wusste oder dachte ich mir, dass sich kein Teil meines Körpers WÄHREND dem Lauf und nach bereits erbrachten 21km würde ENTSPANNEN können.
Ich lief weiter, konsultierte dauernd meine Uhr mit Zeit pro Kilometer und Pulskontrolle und versuchte mir intensiv einzureden: "hey, die erste Runde ist geschafft. KLASSE. Immerhin. Schon die Hälfte durch. NUR noch EINE weitere Runde..."

der Mann mit dem Hammer
kam auch dieses mal wieder zu mir: damit ist gemeint, das man meist ab km30 einen Einbruch erlebt. Als würde einem jemand mit nem Hammer die Beine wegziehen. Die streiken einfach nur noch und wollen nicht mehr. Schlag-artig, im wahrsten Sinne des Wortes.
Nach dem Durchlauf der ersten Runde mit km21 in einer Zeit von 1:46h war ich mit dem Wert und meiner Leistung total zufrieden. Es ging wieder hinaus auf die Kennedybrücke über den Rhein. Alle Detailsignale in mir versammelten sich und präsentierten mir die Quittung für den bisherigen Lauf:"so gehts nicht weiter, so nicht auf 42km". Ich wollte das nicht wahr haben, ich wollte das um keinen Preis akzeptieren. GENAU DAS nicht. GENAU DAS ist der Generalfehler beim Marathon, der mir all zu oft passiert. Daher durfte es diesmal nicht wieder passieren. DIESMAL NICHT. Also: "klar sind die Beine schon etwas schwer, was sollen sie sonst sein, nach 23km ?" - die Sonne kommt mehr und mehr heraus, sofort nimmt die Temperatur zu. Die Zuschauermenge in der zweiten Runde hat spürbar abgenommen, es ist nur an einzelnen Stellen "etwas los".
Auf den ersten Kilometern hatte ich mit vorgenommen, meine Musik (MP3-Player) erst ab km16 einzuschalten, was ich dann generalstabsmäßig auch getan habe. Mit der Gruppe "BAP" versuche ich mich abzulenken, die Kilometer und die zerrinnende Zeit zu vergessen. Das klingt im Ansatz, aber nicht in der Tiefe. Die Spannung in der Hüfte nimmt wieder zu, verstärkt sich nach den hineingehasteten Schlücken Flüssigkeit während dem Lauf. Inzwischen bin ich hier bei Cola angekommen, dem persönlichen Wundermittel bei solchen Veranstaltungen. Wegen des hohen Zuckergehalts gibt es schnell Energie, die jedoch wegen der Eigenschaften dieses Zuckers auch genau so schnell wieder versiegt. "wenn Du mit Cola anfängst, dann geht nichts anderes mehr." Diesem Grundsatz kann ich nur zustimmen. Dennoch gibt weder die Cola noch BAP die Energie zurück.
Es wird quälend offensichtlich, mit jedem Schritt in diesem Lauf: ich werde es nicht schaffen, die 42km durchzulaufen. Ich werde es auch nicht schaffen, den geheimen Wunsch zu realisieren und meine Bestzeit von 3:31h bei einem Marathon anzugreifen oder auch nur in die Nähe zu kommen.
Beim Laufmarathon gibt es im Vergleich zum Radmarathon "keine" Abwechslung. Es ist immer der gleiche Bewegungsablauf, (hoffentlich) immer der gleiche Rhythmus der Beine, der Lunge und des Herzens. Es bleibt immer alles gleich, bis die Distanz überwunden ist. Dann endlich darf man sich hinsetzen und nichts mehr tun. Aber erst dann. Beim Rad ist das anders: durch die Landschaft ändert sich permanent die Anforderung: bergauf, eben , bergab. Der ganze Körper und die Psyche bekommen viele Reize, viel Abwechslung. Die Monotonie der Ausdauer wird überspielt, überstrahlt. Nicht so beim Laufen: "es bleibt alles anders", immer das Gleiche.
Bei km26 kapituliere ich innerlich eigentlich bereits. Es sind noch unsagbare 16km bis zum Ziel, bis zum "endlich aufhören dürfen", doch so wie bisher gehts nun nicht mehr weiter. Ich werde langsamer, ich werde bewußt langsamer, um nicht stehen bleiben zu müssen. Erst wird die Schrittlänge kürzer, dann die Schrittfrequenz niedriger. Immer mehr Läufer ziehen an mir vorbei, ich bin raus aus dem Feld. "Wenn Du langsamer wirst, dann brichst Du ein, dann ist es aus. Durchlaufen, immer im gleichen Tempo. Nicht anhalten, nur nicht stehen bleiben." Das war meine Devise. Nun kapituliere ich auf 4-5km. Das Rheinufer entlang, auf einer Geraden von fast 10km Länge. Das langsamer werden bringt keine Erleichterung, was mein Kopf vorher schon gewußt hat. Die Beine und alles war an die Frequenz von 12km/h bei 160 Puls gewöhnt, eingeschossen, eingelaufen. Jetzt etwas zu ändern, egal ob schneller oder langsamer, zerstört das System und die Bereitschaft, den Lauf zu meistern. Es ist ein quälendes Sterben der Motivation, ein Siechtum des Willens. Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Immer länger werden die Kilometer, immer schneller die anderen.
Mit dem Gedanken an den letzten Ötzi und die Bewältigung des Timmelsjoch versuche ich verbissen mir einzureden, "ja bloß weiterzulaufen." Es sind so Gedanken wie "alles ist besser als stehen bleiben" und "der angenehmste Zustand ist das Laufen, nicht die Pause". Aber das hilft alles nichts. Ich ringe die Kilometer nieder, bis sie mich geschafft haben. Besiegt, aus und vorbei. Ich bleibe stehen. Zuerst gehe ich noch, dann bleibe ich wirklich stehen. Kilometer: 35,5. Zweispurige Hauptstraße, fast keine Zuschauer, pralle Sonne inzwischen und noch etwa 1km bis zur Versorgung. Da standen wir dann: ich und der Mann mit dem Hammer. Aus. Vorbei. An der Grenze angekommen. Hier ist sie. Genau hier. "FUCK FUCK FUCK !!!" - klingt nicht gut und nicht nett. Ist aber so. "Scheißdreck aber auch."

die kleinere Qual
ist es dann doch, den Lauf wieder aufzunehmen, nach einigen Schritten, die ich gegangen bin. "Vielleicht komme ich ja doch wieder rein..." (HAHAHAHAAAA !). Ich laufe einige hundert Meter, dann gehe ich wieder viele Schritte. In der Ferne der Versorgungsstand bei km36. Bis dahin laufe ich wieder. Dort bleibe ich stehen bzw. gehe wieder und versorge mich mit Cola und Bananen.
Bei km36 kommt die letzte Wende. Noch einmal macht die Strecke einen Bogen von 180°, ab hier geht es wieder zurück zum Start und zum Ziel. Noch ganze 6 Kilometer. 6.000 Meter. Etwa 8.000 Schritte...
Als ich vor dem Start über der Karte gebeugt dagesessen hatte und mir alles so ansah, da wollte ich ab diesem Punkt "Kilometer 36" noch mal alle Kräfte bündeln und "speed" machen, Gas geben und die letzten Kilometer "einfach so" runterspulen. Das geht tatsächlich, das habe ich schon erlebt. Allerdings nur, wenn noch "alles so im Lot ist", der Laufkörper noch zufriedenstellend arbeitet und vor allem der Geist und das Hirn mit dem bisherigen Lauf zufrieden ist und sich selbst damit motivieren kann, das alles klasse läuft bis hier hin. Dem ist aber heute nicht so. Ich stolper so dahin, mehr gehe ich als das ich laufe, ich fluche und schimpfe und hasse die Distanz bis zum Ziel. Jeder Meter kostet Überwindung. Egal jetzt, weiter.
Meine Beine protestieren mehr und mehr. Jedes Gehen und wieder anlaufen wird zur regelrechten Qual. "Die Beine wollen wirklich nimmer, scheiße" denke ich mir. Öfter bleibe ich nun komplett stehen und dehne die Beine kurz indem ich mich gegen Straßenlaternen stemme, gegen Leitplanken. Neben den anderen Verzweifelten. Wie beim Ötzi am Timmelsjoch nehmen auch hier zwischen km39 und km40 die "Geher und Steher" zu. Diesmal bin ich leider auch einer von ihnen. "Verdammt". Ein Blick zur Uhr: 3Stunden, 40 Minuten seit dem Start. Eigentlich wollte ich seit 10 Minuten im Ziel sein. Doch noch stackse ich hier im Dreck rum. Unendlich langsam. Also wieder Indianermethode: 10 Schritte laufen, 10 Schritte gehen. Zu anstrengend. Bisher gelaufene Kilometer übersetze ich in Schritte des Laufens, dazwischen 10 schritte gehen dürfen. "39 Schritte laufen", "10 Schritte gehen". "39 Schritte Laufen... besser die Laufschritte mal zwei: 78 Schritte laufen, 10 Schritte gehen..."

Irgendwann komme ich wieder an die Metallabsperrungen in der Innenstadt, der Fußgängerzone. Ab hier ist es nicht mehr weit, 1.5 Kilometer höchstens. Also nehm ich noch einmal alles zusammen: wenigstens unter 4 Stunden will ich bleiben, wenigstens das. Die Beine tun weh, brüllen mich an: "bleib endlich stehen, setz Dich, JETZT !" - nix da. Es reicht mir mit dem Laufen, es reicht mir aber auch mit dem Stehenbleiben. Schluss jetzt endlich. Die Abzweigung von der ersten Runde weg zum Rathausplatz. Es sind nur noch wenige hundert Meter zum Ziel. Die Menschen stehen Spalier, der "Metalltunnel" liegt im Schatten, die Hüfte sticht und alles passt nicht mehr zu der Bewegung. Ich laufe immer schneller, ich explodiere fast.


Schluss-Spurt

"Leck mich, leck mich" bei jedem Schritt, bei jedem Bodenkontakt der Fußsohlen. Alles in mir, mein ganzer Körper trompetet: HALT ENDLICH AN ! - nix da. Im Gegenteil: Ich werde immer schneller. Ich überhole noch 4 bis 5 Mitläufer, dann noch einmal 2 vor der Ziellinie. Roter Gummibelag wenige Meter vor dem Ziel. Ich bin irritiert. Der riesige Zielbogen mit der Uhrzeit noch vor mir. Genau 4:00:00 steht da, ich bin verwirrt. Die Beine kommen fast zu stehen, ich schlepp mich einfach weiter und dann bin ich durch, im Ziel.


im Ziel, 42km, in 3:55h (bereinigt), Platz 805 von 1459 Läufern

Keine Luft mehr.
Kein Atem mehr.
Kein Schritt mehr.
Gleich platz ich.

Der Spurt hat alles gekostet, jetzt geht rein gar nichts mehr.
Ich lehne mich über das seitliche Metallgitter, der Schweiß läuft mir überall hinunter, ins Gesicht, in die Augen. "Luft", "ich brauch Luft...". Einige Momente des "Nichts" vergehen, ich steh nur da und staune. Ringe nach Luft. Nach Fassung. Dann wanke ich auf eine der Helferinnen zu, die auch nicht recht weiß, ob sie es denn nun sein muss, die mir die Finishermedallie umhängt oder doch eine ihrer hübschen Kolleginen. Schließlich baumelt das Ding um meinen Hals, ich torkel weiter und entdecke auch schon Holger und Ki, die mich dankenswerter Weise im Zielraum empfangen. Da sie als Halbmarathonis ebenfalls gelaufen sind, passieren sie die Ordner ungehindert, die hier niemand außer den Läufern durchlassen.
Ki reicht mir Wasser, Holger organisiert ein isotonisches, alkoholfreies Erdinger Weißbier: GENIAL.
Ich setz mich zu Boden, lehne an einen Blumenkübel und will vor allem eins: nicht mehr weiterlaufen.

"Nie mehr wieder mach ich so einen Scheiß" denke ich, als ich wieder denken kann. "Nie mehr wieder." "Nie mehr". "Nie."

Außer im Oktober den Münchner Stadtmarathon. 42km, Zieleinlauf im altehrwürdigen Olympiastadion. "Spätestens nächstes Wochenende wieder trainieren gehn. Unter 3:30h". Vielleicht schaffe ich es im Oktober...

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